Für meinen ersten Ausflug aus dem Schutz der Stadt
wähle ich Baun, eine Ortschaft im Regierungsbezirk Kupang; Landkreis
Westamarasi. Dieses Mal will ich es allein versuchen, auf dem Land, mich von
jeglicher Bevormundung durch Nachbarn oder Behörden befreien. Keine Empfehlung
mehr, nicht mehr an die Hand genommen werden von Gutmenschen, die glauben,
besser zu wissen, wonach ich suche, als ich selbst. Meine Versuche, eine Basis
für meine Forschung zu finden, waren bisher enttäuschend. Es fällt mir noch immer schwer,
mich für eine Region, eine bestimmte Ortschaft, zu entscheiden.
Von Kupang aus verkehren Busse nach überall hin in Westtimor. Warum gerade Baun? Weil ich eine historische Fotografie gesehen habe. Altertümliches Chamois. Keine andere Farbgebung gibt die Atmosphäre von Vergangenem besser wieder, die historische Fotografien ausatmen. Der anonyme Fotograf hat die exotische Stimmung des Vergangenen gut eingefangen: die kriegerische Pose des Atoin-Meto-Kriegeradels, ihr wilder Blick, ihre malerischen Uniformen, eine Melange zwischen Pirat und Desperado, die an Sage und Märchen gemahnen; ihre zur Schau gestellten antiken Waffen: Dolche, schmale Schwerter, Gewehre. Ein Gruppenbild mit Fürst aus dem 19. Jahrhundert: ein Raja aus Baun mit seinen Krieger-Kopfjägern im traditionellen Ornat. Mysteriös. Malerisch. Geheimnisvoll. Ich bin mir inzwischen sicher: Ohne solche Faszinationen gäbe es keine Ethnologie. In jedem, den es in die Fremde zieht, leben diese inneren Bilder, die suchend plötzlich ihre äußere Entsprechung finden. Die Schwierigkeit besteht allein darin, sich die wissenschaftliche Arbeit nicht durch seine Träume diktieren zu lassen. Zu träumen allerdings, ist nicht Falsches. Wer versucht, diese Faszination aus Angst nicht objektiv zu sein verdrängt, wer naturwissenschaftliche Methoden in eine geisteswissenschaftliche Disziplin einführt, vermeidet die Begegnung die immer von Subjektivität geprägt ist. Quantifizierbare Daten ermöglichen kein kulturelles Verstehen. Im Gegenteil. Sie streifen lediglich die Oberfläche, zerstören die Qualität der Beziehung, und vermeiden affektives Betroffensein. Beobachtung ohne Teilhabe. Nicht mehr, und viel zu wenig. Nackte, emotionslose Fakten statt gegenseitiges Verstehen. Seit ich nicht mehr vom öffentlichen Gerede und dem Applaus der Fachgemeinschaft geblendet bin, kann ich klarer sehen. In Wirklichkeit sind es Bilder, die mich nach Amanuban gelockt haben. Und Baun? Weil ich von Alfonsus Nisnoni aus der Dynastie von Baun gehört habe, der bis 1955 der letzte Raja Kupangs war. Nach dem Zweiten Weltkrieg hat die indonesische Nachkriegsregierung das Reich des Sonba`i für immer beendet. Hört man genau hin, dann versteht man, warum viele Atoin Meto sich in einem besetzten Land gefangen fühlen.
Von Kupang aus verkehren Busse nach überall hin in Westtimor. Warum gerade Baun? Weil ich eine historische Fotografie gesehen habe. Altertümliches Chamois. Keine andere Farbgebung gibt die Atmosphäre von Vergangenem besser wieder, die historische Fotografien ausatmen. Der anonyme Fotograf hat die exotische Stimmung des Vergangenen gut eingefangen: die kriegerische Pose des Atoin-Meto-Kriegeradels, ihr wilder Blick, ihre malerischen Uniformen, eine Melange zwischen Pirat und Desperado, die an Sage und Märchen gemahnen; ihre zur Schau gestellten antiken Waffen: Dolche, schmale Schwerter, Gewehre. Ein Gruppenbild mit Fürst aus dem 19. Jahrhundert: ein Raja aus Baun mit seinen Krieger-Kopfjägern im traditionellen Ornat. Mysteriös. Malerisch. Geheimnisvoll. Ich bin mir inzwischen sicher: Ohne solche Faszinationen gäbe es keine Ethnologie. In jedem, den es in die Fremde zieht, leben diese inneren Bilder, die suchend plötzlich ihre äußere Entsprechung finden. Die Schwierigkeit besteht allein darin, sich die wissenschaftliche Arbeit nicht durch seine Träume diktieren zu lassen. Zu träumen allerdings, ist nicht Falsches. Wer versucht, diese Faszination aus Angst nicht objektiv zu sein verdrängt, wer naturwissenschaftliche Methoden in eine geisteswissenschaftliche Disziplin einführt, vermeidet die Begegnung die immer von Subjektivität geprägt ist. Quantifizierbare Daten ermöglichen kein kulturelles Verstehen. Im Gegenteil. Sie streifen lediglich die Oberfläche, zerstören die Qualität der Beziehung, und vermeiden affektives Betroffensein. Beobachtung ohne Teilhabe. Nicht mehr, und viel zu wenig. Nackte, emotionslose Fakten statt gegenseitiges Verstehen. Seit ich nicht mehr vom öffentlichen Gerede und dem Applaus der Fachgemeinschaft geblendet bin, kann ich klarer sehen. In Wirklichkeit sind es Bilder, die mich nach Amanuban gelockt haben. Und Baun? Weil ich von Alfonsus Nisnoni aus der Dynastie von Baun gehört habe, der bis 1955 der letzte Raja Kupangs war. Nach dem Zweiten Weltkrieg hat die indonesische Nachkriegsregierung das Reich des Sonba`i für immer beendet. Hört man genau hin, dann versteht man, warum viele Atoin Meto sich in einem besetzten Land gefangen fühlen.
Baun liegt zweihundertvierundfünfzig Meter über dem
Meeresspiegel. Das Klima ist angenehmer als in der feuchtheißen Kupangbucht.
Clarke Cunningham hat in den sechziger Jahren des 20. Jahrhunderts die soziale
und politische Organisation der Atoin Meto in dem Dorf Soba erforscht, in
Amarasi, einem der zehn vorindonesischen, politischen Territorien. In Amarasi
spricht man einen eigenen Dialekt des Uab Meto, der dem der östlich siedelnden
Tetun ähnelt. Die Atoin Meto nennen sie Belu, Freund. Hier trägt man eine
differenzierende Tracht: die weiße Mittelbahn des Hüfttuchs kontrastiert
deutlich mit der schwarzblauen Indigofarbe der Kleidung in Amanuban. An solchen
Farbpräferenzen erkennt jeder Atoin Meto, woher der andere kommt. Ich bin
neugierig die Landschaft endlich zu sehen, die Menschen zu treffen, über die
ich so viel gelesen habe.
Baun liegt fünfundzwanzig Kilometer
südöstlich von Kupang und ist leicht mit Bus oder Bemo zu erreichen. Der
őffentliche Nahverkehr in Stadt und Umgebung ist optimal ausgebaut. Ich steige
am Busterminal in ein Bemo und fahre an den Stadtrand nach Oepura. Dort
wechsele ich nach einem kurzen Aufenthalt das Bemo, und verlasse Kupang hinaus
aufs Land. Die Sicht aus dem kleinen, überfüllten Mikrolet ist durch die eng
gedrängt sitzenden Passagiere eingeschränkt. Die Fahrt geht durch dünn
bewaldetes Gelände. Rechts und links der Straße wachsen reichlich Kokospalmen
und Bananen. Und viele einheimische Bäume, deren Namen ich noch nicht kenne.
Entlang der Landstraße verstecken sich Gehöfte zwischen Nutzpflanzen, schwer zu
entdecken, inmitten der kaum gezähmten Natur. In den Hausgärten stehen kleine,
rechteckige Häuser, gleich an der Straße, mit Wänden aus gespaltenem Bambus und
Dächern aus dicht nebeneinander liegenden Alang-Alang-Garben. Errichtet sind
sie auf Bruchsteinfundamenten, manche unmittelbar auf dem planierten Lehmboden.
Sie besitzen ein Giebeldach und mehrere Fenster. Die indonesische Regierung
propagiert diese Bauweise, in der Hoffnung, sie verdrängt innerhalb weniger
Generationen die traditionellen Gebäude: das weiblich konnotierte,
traditionelle Rundhaus ume kbubu und der männlich aufgefassten lopo. Sie nennt diese Häuser rumah sehat, gesunde Häuser, weil sie hell und
gut gelüftet sind, und innen keine offene Feuerstelle besitzen. Diese modernen Häuser beherrschen den Vordergrund der Gehöfte, bilden eine Fassade, hinter der sich das Leben der Familie
abspielt; häufig in zusätzlich Gebäuden. In den Rumah sehat werden die Gäste
empfangen und bewirtet, schlafen Kinder und Jugendliche. Im Hintergrund,
abseits der Straße, neugierigen Blicken entzogen, steht das Ume kbubu, in der
Form eines überdimensionalen Bienenkorbs. Gebärmutter Amanubans, nannte
Mesakh Banamtuan, Penatua in Niki Niki Un, dieses überlieferte Wohnhaus. In seinem Inneren erblickten einst die Kinder das Licht der Welt. Während der Geburt lag die
werdende Mutter auf einer kniehohen Bambusplattform. Zehn Tage blieb sie mit
dem Neugeborenen in diesem fensterlosen Gebäude, unter ihr eine schwelende Feuerstelle. Die Hitze sollte sie reinigen und ihre Fruchtbarkeit wiederherstellen. Um die
Fruchtbarkeit der Erde zu erneuern, verbrennt auch die Sonne in der Trockenzeit
den Erdboden, damit er am Beginn der Regenzeit den Regen, den Samen von Uis
Neno, der Himmelsgottheit, in den gereinigten Boden aufnehmen kann. Frauen,
Erde und Leben bildeten einst eine Einheit im Denken der Atoin Meto, in den
Jahrhunderten vor Ankunft des patriarchischen Christentums. Der Vater
platzierte die Plazenta, das Geschwister des Kindes, einst in einem Tonkrug in
der Astgabel eines Kusambibaums. Überlebte der Säugling diese Zeit der
Abgeschiedenheit, wurde er rituell aus der Privatheit des Hauses in die
Öffentlichkeit der sozialen Gemeinschaft getragen und dieser vorgestellt. Nach seiner biologischen, seine zweite, soziale Geburt. Der Abschluss des ersten Lebenszyklusrituals.
Mit diesem Schritt in die Welt gehörte er einer Gemeinschaft an, die ihm auch
bei seinem letzten Übergang am Ende seines irdischen Lebens zur Seite stand.
Die Atoin Meto sprechen von den zwei Türen, die ins Leben und wieder
hinausführen. Es ist nicht viel von diesen Ritualen übrig geblieben, an dem
einst auch die Ahnen als unsichtbare Gäste teilnahmen. Nur mit Mühe und vielen
Anfeindungen ist es mir gelungen, an einem Begräbnis in Mauleum, in
Ostamanuban, teilzunehmen, das eine zu erlauschen, für anderes Antworten zu
bekommen. Von einer traditionellen Geburt habe ich weder gehört noch eine
miterlebt. Niemand konnte oder wollte mir sagen, ob sie noch vorkommen. Ich
kann mir nur schwer vorstellen, dass eine der Frauen, die ich kennenlernte, sich zehn Tage auf diesen Grill legen. Einer meiner Instagram-Kontakte vermutete kürzlich, dass noch zehn Prozent der Bevölkerung diese traditionellen Geburtsrituale in Amanuban durchführen. Christliche Taufe und Begräbnis sind als
farblose Zeremonien an die Stelle der alten Lebenszyklusrituale getreten. Doch
trotz ihrer unterschiedlichen Botschaft erfüllen sie den gleichen Zweck. Nur
die Ahnen sind abwesend und ausgeschlossen.
Das weibliche, fensterlose Rundhaus, dessen Dach bis auf den Erdboden hinab reicht, ist abgeschlossener und abweisender kaum denkbar. Dieses runde Wohnhaus ist der primäre Wohn- und Arbeitsbereich der Frau: Küche, Getreidespeicher und Schlafplatz der Eheleute; Ort des Webgeräts der Frau, das zusammengerollt auf dem Speicherboden zwischen den Maiskolben und dem Saatgut für das kommende Jahr liegt. Der weibliche Teil der Wohnung bietet Sicherheit und Schutz, Nahrung und die wohltuende Kühle und Gesundheit für die Familie und den Haushalt. Im Inneren brennt ununterbrochen das Herdfeuer. Sternförmig liegen drei große Äste in der Feuerstelle, deren Spitzen sich in der Glut fast berühren, und die je nach Bedarf weitergeschoben werden können.
In diesem fensterlosen Gebäude beginnen meine Augen im Rauch des Feuers zu tränen, doch die älteren Atoin Meto schlafen ungestört in diesem Raum. Aus Mangel an einer Öffnung sucht der Rauch sich seinen Weg durch das Grasdach ins Freie. Früh am Morgen, wenn es gerade dämmert, schürt die Frau des Hauses das Herdfeuer. Dann zieht der Rauch in langen Schwaden durch jede Ritze des Grasdachs. Eine romantische, malerische Atmosphäre liegt dann in der Luft, und es scheint, als schweben Fetzen eben noch geträumter Bilder durch das Gehöft.
Das weibliche, fensterlose Rundhaus, dessen Dach bis auf den Erdboden hinab reicht, ist abgeschlossener und abweisender kaum denkbar. Dieses runde Wohnhaus ist der primäre Wohn- und Arbeitsbereich der Frau: Küche, Getreidespeicher und Schlafplatz der Eheleute; Ort des Webgeräts der Frau, das zusammengerollt auf dem Speicherboden zwischen den Maiskolben und dem Saatgut für das kommende Jahr liegt. Der weibliche Teil der Wohnung bietet Sicherheit und Schutz, Nahrung und die wohltuende Kühle und Gesundheit für die Familie und den Haushalt. Im Inneren brennt ununterbrochen das Herdfeuer. Sternförmig liegen drei große Äste in der Feuerstelle, deren Spitzen sich in der Glut fast berühren, und die je nach Bedarf weitergeschoben werden können.
In diesem fensterlosen Gebäude beginnen meine Augen im Rauch des Feuers zu tränen, doch die älteren Atoin Meto schlafen ungestört in diesem Raum. Aus Mangel an einer Öffnung sucht der Rauch sich seinen Weg durch das Grasdach ins Freie. Früh am Morgen, wenn es gerade dämmert, schürt die Frau des Hauses das Herdfeuer. Dann zieht der Rauch in langen Schwaden durch jede Ritze des Grasdachs. Eine romantische, malerische Atmosphäre liegt dann in der Luft, und es scheint, als schweben Fetzen eben noch geträumter Bilder durch das Gehöft.
Ganz anders der Lopo, das traditionelle Haus des
Mannes, dessen Konstruktion dem Ume kbubu nur scheinbar gleicht. Die
symbolische Bedeutung der Konstruktion orientiert sich an den Eigenschaften und
Bedürfnissen des Mannes. Der Lopo ist das Forum des Gehöfts, die öffentliche Wohnung des Mannes, entfernt verwandt mit dem
melanesischen Männerhaus. Aluk, die kleine verzierte Tasche, in der der Verstorbene,
später dann verehrte Ahn, seine persönlichen Gegenstände wie Messer, Münzen und
das Zubehör für den Betelkonsum aufbewahrte, wurde ebenfalls am Lopo
aufgehängt, ein metaphysischer Ort, der es ihm ermöglichte, noch eine Zeit am Leben der Gemeinschaft teilzunehmen. Durchlochte, runde Steinplatten am
oberen Ende eines jeden Pfostens schützen das Getreide vor Nagetieren.
Er erhebt sich auf einer runden Grundfläche, dient ebenfalls als Speicherboden, aber vor allem als Gästehaus und Versammlungsort der Männer. Hier finden die öffentlichen Angelegenheiten der Familie statt, Männersachen werden hier besprochen und diskutiert. Sein kegelförmiges Grasdach ruht, wie auch das des Ume kbubus auf vier quadratisch arrangierten Pfosten, die eine Plattform stützen, die sich knapp zwei Meter über dem Boden erhebt. Auch auf diesem Speicher, dessen Unterseite oft mit den charakteristischen Hakensymbolen dekoriert ist, lagert die Maisernte, Teile des Saatguts für das kommende Jahr und alle Gegenstände, die der Mann im Alltag und im Ritual benötigt. Unter dem Lopo wird auch seine Leiche aufgebahrt. In alten Zeiten ehrte er hier seine Ahnen, indem er ihnen kleine Opfer, mit Vorliebe Betel, an einen Pfosten hängte. Die
Der größte Unterschied der beiden Gebäude besteht im Dach des Lopos. Dieses reicht nicht bis auf den Erdboden hinab, sondern endet auf Schulterhöhe. Umgeben ist das Gebäude von einem Steinkreis, auf dem die Männer sitzen, sich im Schatten ausruhen, palavern und Betel essen oder rauchen. Die alten Lopos in den Höfen des Adels stehen auf einem hüfthohen Fundament aus Bruchsteinen.
Die Auffassung der Atoin Meto vom Wohnen spiegelt sich auch in ihrer Tracht wider. Wie das Dach des Wohnhauses bis auf den Boden reicht, bedeckt der röhrenförmige Rock der Frau ihren Körper von der Taille bis hinab auf die Füße. Wie fremde Blicke den Weg nicht ins Innere des Hauses finden, so ist auch die Wade der Frau vor diesen Blicken verborgen. Das Dach des Lopos reicht dagegen nicht bis auf den Boden, und auch das Männerkleid endet auf der Wade. Dem Mann ermöglicht es sich im Rahmen seiner Aktivitäten in der Öffentlichkeit schneller und leichter zu bewegen, was besonders für den Meo, den Krieger-Kopfjäger aus alter Zeit, höchst vorteilhaft war.
Er erhebt sich auf einer runden Grundfläche, dient ebenfalls als Speicherboden, aber vor allem als Gästehaus und Versammlungsort der Männer. Hier finden die öffentlichen Angelegenheiten der Familie statt, Männersachen werden hier besprochen und diskutiert. Sein kegelförmiges Grasdach ruht, wie auch das des Ume kbubus auf vier quadratisch arrangierten Pfosten, die eine Plattform stützen, die sich knapp zwei Meter über dem Boden erhebt. Auch auf diesem Speicher, dessen Unterseite oft mit den charakteristischen Hakensymbolen dekoriert ist, lagert die Maisernte, Teile des Saatguts für das kommende Jahr und alle Gegenstände, die der Mann im Alltag und im Ritual benötigt. Unter dem Lopo wird auch seine Leiche aufgebahrt. In alten Zeiten ehrte er hier seine Ahnen, indem er ihnen kleine Opfer, mit Vorliebe Betel, an einen Pfosten hängte. Die
Der größte Unterschied der beiden Gebäude besteht im Dach des Lopos. Dieses reicht nicht bis auf den Erdboden hinab, sondern endet auf Schulterhöhe. Umgeben ist das Gebäude von einem Steinkreis, auf dem die Männer sitzen, sich im Schatten ausruhen, palavern und Betel essen oder rauchen. Die alten Lopos in den Höfen des Adels stehen auf einem hüfthohen Fundament aus Bruchsteinen.
Die Auffassung der Atoin Meto vom Wohnen spiegelt sich auch in ihrer Tracht wider. Wie das Dach des Wohnhauses bis auf den Boden reicht, bedeckt der röhrenförmige Rock der Frau ihren Körper von der Taille bis hinab auf die Füße. Wie fremde Blicke den Weg nicht ins Innere des Hauses finden, so ist auch die Wade der Frau vor diesen Blicken verborgen. Das Dach des Lopos reicht dagegen nicht bis auf den Boden, und auch das Männerkleid endet auf der Wade. Dem Mann ermöglicht es sich im Rahmen seiner Aktivitäten in der Öffentlichkeit schneller und leichter zu bewegen, was besonders für den Meo, den Krieger-Kopfjäger aus alter Zeit, höchst vorteilhaft war.
Natur und Kultur sind in den
Siedlungen der Atoin Meto streng geschieden. In einem Gehöft lebt eine
erweiterte, patrilineare Familie in einem gemeinsamen Haushalt, der eine
soziale, rituelle und wirtschaftliche Einheit bildet. Nur ein einziger Name ist
für diese Einheit erforderlich. Haus, Haushalt und Familie, sie alle heißen ume. Jedes Gehőft ist von
dichter Vegetation umgeben. Es macht den Eindruck, als hätten die Bewohner ihre
Wohnung unmittelbar aus der Natur geschnitten, ihr diese kleine Fläche
abgerungen, die von allen Seiten von einer Vielzahl von Pflanzen bedrängt wird.
Eine Lichtung, ein überschaubares Residuum, wo die meisten wirtschaftlichen und
sozialen Aktivitäten stattfinden, inmitten einer unstrukturierten Vegetation. Magische und animistische Vorstellungen sind noch nicht ganz verschwunden. Man
spricht nur nicht mehr gerne über sie. Unmittelbar jenseits des vegetationsfrei
gehaltenen Siedlungsplatzes beginnt das heiße, gefährliche Draußen, die
grenzenlose Weite der Welt des umherstreifenden Mannes. Heiß ist sie, aggressiv
und unberechenbar in ihrer Reaktion. Aufgeklärte Atoin Meto, die wenigsten
nominell Christen sind, leben in einer konfliktreichen Ambivalenz mit dieser
Sphäre. Sie fühlen sich sicher im modernen Indonesien, sind aber unsicher, ob
sie ihren Priestern und Lehrern glauben sollen. Der Konrektor einer Grundschule
in Soë, mein Lehrer des Uab Meto, erzählte mir von einer nächtlichen Heimfahrt
aus Kapan durch die Berge nach Hause. Aus seinem Heimatdorf hatte er
frischgeschlachtetes Schweinefleisch auf dem Gepäckträger seines Motorrads
mitgebracht. Am Eingang einer Schlucht, wo unter einer Brücke ein kleiner Bach
über Findlinge plätschert, wirft er jedes Mal ein paar Zigaretten ins Wasser,
damit ihn die dort lebenden Kobolde unbehindert passieren lassen. Ein
Englischlehrer einer Mittelschule berichtet in besten Oxfordenglisch von einem
landwirtschaftlichen Ritual seines Klans in Molo, bei dem Fleisch den
mysteriösen Bewohnern eines kleinen Bergsees geopfert wird. Solche Erzählungen
sind keine einzelnen Fundstücke. Ich habe viele in Amanuban gehört, und auch in
Java und Bali hörte ich von gebildeten, modernen Indonesiern Berichte von
Geistererscheinungen, Dämonen und Exorzismen. Auch von Suharto, ehemals Präsident
Indonesiens, ist bekannt, dass er bei wichtigen Entscheidungen einen Wahrsager
zu Rate zog.
Unmittelbar außerhalb der Geborgenheit der Wohnung befindet sich die Sphäre des Unheimlichen, wo immaterielle Energien ihr Wesen treiben, denen die Menschen nicht gerne begegnen. Außerhalb der Grenzen des Gehöfts vermuten die Atoin Meto eine von unpersönlichen Mächten und Verstorbenen, genannt nitu, belebte Welt; selbst dann, wenn sie protestantische Christen sind. Katholische Atoin Meto, deren religiöse Überzeugungen wunderwirkende Heilige, eine unbefleckte Empfängnis und eine mysteriöse Transsubstantiation mit einschließt, haben mit einen religiösen Synkretismus weniger Probleme. Der aufgeklärte Ethnologe hat mit dem Verständnis sogenannter metaphysischer Phänomene seine Schwierigkeiten. Was die Atoin Meto Nitu nennen, übersetzte die Ethnologie einst mit Begriffen wie Traumseele oder Totengeist, während die Atoin Meto dabei an die lebende Leiche ihres verstorbenen Verwandten denken. Am ehesten stellt man sich einen Nitu als einen Außerbetriebgesetzten vor, als jemanden, der am anderen Ufer, jenseits des Dorfes, eine neue Heimat gefunden hat. Außerbetriebgesetzt insofern, als er in und für die Lebenswelt seiner Gemeinschaft keine Rolle mehr einnimmt. Dass man ihn nicht sieht, sondern nur spürt, bedeutet nicht, dass er nicht mehr existiert. In Tanimbar, einer Insel der Molukken, habe ich gehört, besitzen die Verstorbenen einen spezifischen Duft, der ihre Anwesenheit verrät. Die ungezügelte Natur in der Umgebung ihrer Siedlung stellen die Atoin Meto der kühlen, sicheren und wohltuenden Atmosphäre ihrer Wohnung gegenüber. Die Bewohner halten ihren Siedlungsplatz aber nicht nur vegetationsfrei, weil es Spinnen, Raupen, Skorpione und Schlangen gibt. Geschützt vor oft giftigem Getier, das kauna heißt. Sie alle kriechen auf dem Boden, das verbindet sie. Gott verfluchte Luzifer mit dem Bauch auf dem nackten Erdboden zu kriechen; auch eine Schnittstelle von Christentum und kultureller Überlieferung. Kauna sein heißt giftig sein.
Ich bin noch immer auf dem Weg nach Baun. Bescheidene Häuser säumen die Straße. Grasbündeldächer für die Mittellosen, Dächer aus Wellblech für die Reichen, die in der hohen Luftfeuchtigkeit vor sich hin rosten.
Unmittelbar außerhalb der Geborgenheit der Wohnung befindet sich die Sphäre des Unheimlichen, wo immaterielle Energien ihr Wesen treiben, denen die Menschen nicht gerne begegnen. Außerhalb der Grenzen des Gehöfts vermuten die Atoin Meto eine von unpersönlichen Mächten und Verstorbenen, genannt nitu, belebte Welt; selbst dann, wenn sie protestantische Christen sind. Katholische Atoin Meto, deren religiöse Überzeugungen wunderwirkende Heilige, eine unbefleckte Empfängnis und eine mysteriöse Transsubstantiation mit einschließt, haben mit einen religiösen Synkretismus weniger Probleme. Der aufgeklärte Ethnologe hat mit dem Verständnis sogenannter metaphysischer Phänomene seine Schwierigkeiten. Was die Atoin Meto Nitu nennen, übersetzte die Ethnologie einst mit Begriffen wie Traumseele oder Totengeist, während die Atoin Meto dabei an die lebende Leiche ihres verstorbenen Verwandten denken. Am ehesten stellt man sich einen Nitu als einen Außerbetriebgesetzten vor, als jemanden, der am anderen Ufer, jenseits des Dorfes, eine neue Heimat gefunden hat. Außerbetriebgesetzt insofern, als er in und für die Lebenswelt seiner Gemeinschaft keine Rolle mehr einnimmt. Dass man ihn nicht sieht, sondern nur spürt, bedeutet nicht, dass er nicht mehr existiert. In Tanimbar, einer Insel der Molukken, habe ich gehört, besitzen die Verstorbenen einen spezifischen Duft, der ihre Anwesenheit verrät. Die ungezügelte Natur in der Umgebung ihrer Siedlung stellen die Atoin Meto der kühlen, sicheren und wohltuenden Atmosphäre ihrer Wohnung gegenüber. Die Bewohner halten ihren Siedlungsplatz aber nicht nur vegetationsfrei, weil es Spinnen, Raupen, Skorpione und Schlangen gibt. Geschützt vor oft giftigem Getier, das kauna heißt. Sie alle kriechen auf dem Boden, das verbindet sie. Gott verfluchte Luzifer mit dem Bauch auf dem nackten Erdboden zu kriechen; auch eine Schnittstelle von Christentum und kultureller Überlieferung. Kauna sein heißt giftig sein.
Ich bin noch immer auf dem Weg nach Baun. Bescheidene Häuser säumen die Straße. Grasbündeldächer für die Mittellosen, Dächer aus Wellblech für die Reichen, die in der hohen Luftfeuchtigkeit vor sich hin rosten.
Im Bemo ist es eng und drückend heiß. Die neuesten
amerikanischen Popsongs hämmern aus den überdimensionierten Lautsprechern unter
den Sitzen. Auf den Plastikbänken kleben mir Hemd und Hose am Leib. Unter den
Achseln entspringen Quellen, deren Wasser in Bächen an mir herabfließt. Es ist eng, und niemand scheut den Körperkontakt zum Nachbarn. Es
riecht nach Schweiß und dem würzigen Rauch des mit Nelken gemischten Tabaks. Sie hinterlassen kleine
Brandlöcher auf den Hemden, wenn eine glühende Nelke in der
Zigarette explodiert.
Die schmale, kurvenreiche Asphaltstraße führt stetig bergan, durch zwei kleine Siedlungen, einen Pass hinauf. Ihnen fehlt ein Zentrum, ein Dorfkern mit Markt, Kirche oder einem zentralen Baum, wo sich die Menschen versammeln und Markt abhalten. Eine größere Ansammlung von Häusern muss kein Dorf sein, meist sind es nur Weiler. Mehrere Wohnhäuser und Speicher versammeln sich auf dem vegetationsfreien Siedlungsplatz. Ich habe gelesen, dass die Inseln Ostindonesiens zu den dünn besiedelsten Gegenden des Archipels zählen. Derweil strebt der Minibus weiter der Passhöhe entgegen. Die Straße hat sich inzwischen erheblich verschlechtert. Kurz hinter Kupang war die Asphaltdecke noch relativ gut, doch dann wechselten sich beschädigte Passagen mit den letzten Resten des einstigen Asphalts ab. Über kleinere und größere Schlaglöcher geht es holpernd aufwärts. Der Kleinbus bewältigt Steigungen, die er anschließend, voll beladen und in riskantem Tempo, bergab nimmt. Noch einmal schaukelt der kleine Minibus steil bergauf. Eine steinige Piste. Oben auf dem Pass wachsen kaum noch Pflanzen und Bäume. Angekommen öffnet sich die weite Savanne, die welligen Hügel Westtimors, auf die ich von der Höhe hinabsehen kann. Mein Blick schweift über eine ausgedehnte Mittelgebirgslandschaft. Die Berghänge sind grasbewachsen. Vereinzelt stehen Gruppen großer Bäume und Sträucher entlang der Flussläufe, grüne Striche im Braun und Ocker der Landschaft. Ein grenzenloser Park. Mein erster Eindruck von der trockenen, hügeligen Savannenlandschaft der Insel. Ich bin begeistert und augenblicklich verliebt. Jenseits des Passes werden die Steigungen abwärts immer sanfter. Schnell erreichen wir Baun. Endstation in Westamarasi: Zweiunddreißigtausend Atoin Meto leben auf einer Fläche von etwas über zweihundert Quadratkilometern.
Die schmale, kurvenreiche Asphaltstraße führt stetig bergan, durch zwei kleine Siedlungen, einen Pass hinauf. Ihnen fehlt ein Zentrum, ein Dorfkern mit Markt, Kirche oder einem zentralen Baum, wo sich die Menschen versammeln und Markt abhalten. Eine größere Ansammlung von Häusern muss kein Dorf sein, meist sind es nur Weiler. Mehrere Wohnhäuser und Speicher versammeln sich auf dem vegetationsfreien Siedlungsplatz. Ich habe gelesen, dass die Inseln Ostindonesiens zu den dünn besiedelsten Gegenden des Archipels zählen. Derweil strebt der Minibus weiter der Passhöhe entgegen. Die Straße hat sich inzwischen erheblich verschlechtert. Kurz hinter Kupang war die Asphaltdecke noch relativ gut, doch dann wechselten sich beschädigte Passagen mit den letzten Resten des einstigen Asphalts ab. Über kleinere und größere Schlaglöcher geht es holpernd aufwärts. Der Kleinbus bewältigt Steigungen, die er anschließend, voll beladen und in riskantem Tempo, bergab nimmt. Noch einmal schaukelt der kleine Minibus steil bergauf. Eine steinige Piste. Oben auf dem Pass wachsen kaum noch Pflanzen und Bäume. Angekommen öffnet sich die weite Savanne, die welligen Hügel Westtimors, auf die ich von der Höhe hinabsehen kann. Mein Blick schweift über eine ausgedehnte Mittelgebirgslandschaft. Die Berghänge sind grasbewachsen. Vereinzelt stehen Gruppen großer Bäume und Sträucher entlang der Flussläufe, grüne Striche im Braun und Ocker der Landschaft. Ein grenzenloser Park. Mein erster Eindruck von der trockenen, hügeligen Savannenlandschaft der Insel. Ich bin begeistert und augenblicklich verliebt. Jenseits des Passes werden die Steigungen abwärts immer sanfter. Schnell erreichen wir Baun. Endstation in Westamarasi: Zweiunddreißigtausend Atoin Meto leben auf einer Fläche von etwas über zweihundert Quadratkilometern.
Der Minibus hält auf einem ausgedehnten, von Bäumen
umringten Platz. Ein großer Pavillion auf einem Betonfundament, darunter lagern
zusammengeräumte Marktstände. Markt in Baun ist jeden Samstag. Ich kann nicht
erkennen, ob wir im Zentrum oder am Dorfrand angekommen sind. Hält man Märkte
nicht in der Dorfmitte ab? Warum soll das hier anders sein? Aber ich
sehe kaum Häuser. Hinten an der Straße bietet ein kleiner Stand Essbares an:
Take Away! Süßer Reis in geflochtenen Päckchen, gebratener Reis im Bananenblatt,
frittierte Ubichips. Heißer, dünner schwarzer Tee und lauwarme Limonaden. Links
liegt die Schule.
Weiter hinten mehrere Häuser unter mächtigen Bäumen. Ein Dorf, eine Stadt, ein Park? Ein freier, geräumiger Platz. Weit entfernt schattige Streifen an den Rändern. Nichts erinnert mich an die Enge Kupangs oder die Dichte der Dörfer anderswo. Weite, freie Sicht unter einem bewölkten Himmel, der respektvoll seinen Regen zurückhält. Luft und Weite von allen Seiten. Ich spüre die befreiende Atmosphäre, die diesen großen Platz einhüllt, bis unter die Haut. Ich atme tief ein, unter diesem riesigen Himmel in Baun, und fülle meine Lungen mit kühler, frischer Luft. Ich gehe auf die Häuser am Horizont des Platzes zu. Ein einladender, freundlicher und friedlicher Eindruck. Eine grüne Atmosphäre. Im Schatten, unter den Zweigen und Blättern flirrt gefiltertes Sonnenlicht. Von überall wächst es mitten in den Ort hinein. Nicht das üppig kräftige Grün des tropischen Westindonesiens. Ein silbrig schimmerndes Grün. Ein sanftes, wohltuendes Licht beherrscht die Atmosphäre in Baun, nicht die grelle Sonne, die die Savanne verbrennt. Silbrig-grün wie in den Birkenhainen der heimischen Heidelandschaft. Ich fühle mich angenehm berührt. Baun und Natur durchdringen sich.
Der Morgen ist inzwischen fortgeschritten, doch es sind kaum Menschen unterwegs. Ich bemerke es sofort: es gibt keine Autos. Keine knatternden, stinkenden Motorräder. Einige Bemos parken am Markt, sonst nichts. Es ist Sonntag. Seit Wochen zum ersten Mal wieder Stille, Ruhe und Idylle. Wie lange ist es her, seit ich mich so erlebt habe. Nach dem Getriebe und der Hektik der großen Städte, Singapur, Jakarta, Denpasar, Kupang. Auch der Monat in Bali war betriebsam, immer viele Menschen und fließender Verkehr um mich herum. Baun ist die einsame Insel, auf der ein getriebener Reisender Ruhe findet.
Weiter hinten mehrere Häuser unter mächtigen Bäumen. Ein Dorf, eine Stadt, ein Park? Ein freier, geräumiger Platz. Weit entfernt schattige Streifen an den Rändern. Nichts erinnert mich an die Enge Kupangs oder die Dichte der Dörfer anderswo. Weite, freie Sicht unter einem bewölkten Himmel, der respektvoll seinen Regen zurückhält. Luft und Weite von allen Seiten. Ich spüre die befreiende Atmosphäre, die diesen großen Platz einhüllt, bis unter die Haut. Ich atme tief ein, unter diesem riesigen Himmel in Baun, und fülle meine Lungen mit kühler, frischer Luft. Ich gehe auf die Häuser am Horizont des Platzes zu. Ein einladender, freundlicher und friedlicher Eindruck. Eine grüne Atmosphäre. Im Schatten, unter den Zweigen und Blättern flirrt gefiltertes Sonnenlicht. Von überall wächst es mitten in den Ort hinein. Nicht das üppig kräftige Grün des tropischen Westindonesiens. Ein silbrig schimmerndes Grün. Ein sanftes, wohltuendes Licht beherrscht die Atmosphäre in Baun, nicht die grelle Sonne, die die Savanne verbrennt. Silbrig-grün wie in den Birkenhainen der heimischen Heidelandschaft. Ich fühle mich angenehm berührt. Baun und Natur durchdringen sich.
Der Morgen ist inzwischen fortgeschritten, doch es sind kaum Menschen unterwegs. Ich bemerke es sofort: es gibt keine Autos. Keine knatternden, stinkenden Motorräder. Einige Bemos parken am Markt, sonst nichts. Es ist Sonntag. Seit Wochen zum ersten Mal wieder Stille, Ruhe und Idylle. Wie lange ist es her, seit ich mich so erlebt habe. Nach dem Getriebe und der Hektik der großen Städte, Singapur, Jakarta, Denpasar, Kupang. Auch der Monat in Bali war betriebsam, immer viele Menschen und fließender Verkehr um mich herum. Baun ist die einsame Insel, auf der ein getriebener Reisender Ruhe findet.
Orientierungslos und unschlüssig schlendere ich über
den leeren Platz. Ein junger Mann, der mit im Bemo saß, spricht mich an.
Augustinus Tiran heißt mein Begleiter. Kurz Agus, sagt er. Einer den ich
brauche und der sich meiner annimmt. Er will mir helfen, mich durch den Ort
führen. Er lädt mich zu sich nach Hause ein, und da ich keine Pläne habe, nehme ich an. Plötzlich kommen auch andere. Die Kinder zuerst, dann einige Männer.
Schnell wissen sie, was mich nach Baun geführt hat. Die Tracht der Atoin Meto,
die Webtechnik und die Motive auf den Textilien. Agus erzählt mir von seiner
Mutter, einer Weberin. Sie wird mir ihre Arbeit zeigen, verspricht er. Ich
genieße den Spaziergang durch das moderne Baun, das so verschlafen wirkt. Es
bleibt grün, aber das Grün ändert sich mit der Intensität des Sonnenlichts. Der
Ort liegt im Schatten der Stauden, Sträucher und Fruchtbäume der Hausgärten,
die jeden Hof umgeben. Es ist nicht weit zu Agus Haus, das mitten in einem
Garten steht. Mais, Gurken, Kokos- und Lontarpalmen erkenne ich sofort. Ein
kleines, rechteckiges, mit Wellblech gedecktes Haus auf einem Steinsockel. Die
Wände bestehen aus gespaltenen Bambuslatten. Links vom Wohnhaus dient ein
rechteckiger Verschlag ohne Fenster als Küche.
Im Eingang des Wohnhauses steht eine ältere Frau, die anscheinend schon von meiner Ankunft gehört hat, und auf uns wartet. Es gibt nur ein Fenster. In der Wand gegenüber dem Eingang. Innen stehen mehrere Sessel, Metallgestelle, deren Sitz und Lehne aus eng gewickelter Plastikschnur bestehen. Zu beiden Seiten des Eingangs stehen Holzstühle. Zwei kleine Tische ergänzen das Mobiliar. An den Wänden hängen bunte Kalenderblätter mit Landschaften und Frauenportraits; chinesisches Konterfei. Der einzige Schmuck. Rechts vom Eingang geht es in einen weiteren, durch einen zweiteiligen Vorhang abgetrennten Raum. Hier leben Agus, seine Frau und seine Mutter. Sein Vater ist einigen Jahren gestorben. Agus gehört zu den sechzig Prozent junger Indonesier, die arbeitslos sind. Trotz eines SMA-Abschlusses. In Baun leben die meisten Atoin Meto von der Landwirtschaft. Die Haupterwerbsquelle der Region. Kokospalme und Bananenstaude tragen reiche Früchte, die täglich auf den lokalen Märkten angeboten werden. Außerdem gibt es Maniok und Mais in der nassen Jahreszeit, wenn der Regen reicht, ist auch etwas Trockenreisanbau ist möglich. Seit der Regentschaft von Raja Hendrik Arnold Koroh werden Rinder gezüchtet; das hellbraune Balirind bildet den Schwerpunkt der Viehzucht. Inzwischen importiert Amarasi Rinder. Agus und seine Familie produzieren in ihrem Hausgarten was sie zum Leben benötigen. Rinder haben sie keine. Dazu sind sie zu arm. Nur Hühner, deren Eier sie gelegentlich essen. Agus findet keine Arbeit. Nicht in der Landwirtschaft und nicht in der Rinderzucht. Ich sitze im Empfangsraum des Hauses. In dem Zimmer, in dem die Familie ihre Gäste empfängt, während Agus Frau in der Küche etwas zu essen zubereitet.
Im Eingang des Wohnhauses steht eine ältere Frau, die anscheinend schon von meiner Ankunft gehört hat, und auf uns wartet. Es gibt nur ein Fenster. In der Wand gegenüber dem Eingang. Innen stehen mehrere Sessel, Metallgestelle, deren Sitz und Lehne aus eng gewickelter Plastikschnur bestehen. Zu beiden Seiten des Eingangs stehen Holzstühle. Zwei kleine Tische ergänzen das Mobiliar. An den Wänden hängen bunte Kalenderblätter mit Landschaften und Frauenportraits; chinesisches Konterfei. Der einzige Schmuck. Rechts vom Eingang geht es in einen weiteren, durch einen zweiteiligen Vorhang abgetrennten Raum. Hier leben Agus, seine Frau und seine Mutter. Sein Vater ist einigen Jahren gestorben. Agus gehört zu den sechzig Prozent junger Indonesier, die arbeitslos sind. Trotz eines SMA-Abschlusses. In Baun leben die meisten Atoin Meto von der Landwirtschaft. Die Haupterwerbsquelle der Region. Kokospalme und Bananenstaude tragen reiche Früchte, die täglich auf den lokalen Märkten angeboten werden. Außerdem gibt es Maniok und Mais in der nassen Jahreszeit, wenn der Regen reicht, ist auch etwas Trockenreisanbau ist möglich. Seit der Regentschaft von Raja Hendrik Arnold Koroh werden Rinder gezüchtet; das hellbraune Balirind bildet den Schwerpunkt der Viehzucht. Inzwischen importiert Amarasi Rinder. Agus und seine Familie produzieren in ihrem Hausgarten was sie zum Leben benötigen. Rinder haben sie keine. Dazu sind sie zu arm. Nur Hühner, deren Eier sie gelegentlich essen. Agus findet keine Arbeit. Nicht in der Landwirtschaft und nicht in der Rinderzucht. Ich sitze im Empfangsraum des Hauses. In dem Zimmer, in dem die Familie ihre Gäste empfängt, während Agus Frau in der Küche etwas zu essen zubereitet.
Agus Mutter breitet eine Matte vor
der Tür aus und spannt den Kettbaum ihres Gurtwebgeräts zwischen die
Türpfosten. Von rechts fällt Tageslicht auf ihren einfachen Arbeitsplatz und
das Gewebe. Ausreichend Licht für diese Arbeit, die gute Augen und geschickte
Hände voraussetzt. Sie stützt ihre Füße gegen die Pfosten und spannt die Kette
im Webgerät. Um ihren Rücken legt sie einen breiten Ledergürtel. Den Brustbaum
ihres Webgeräts bilden zwei mit ihrer flachen Seite zusammengelegte Hölzer,
zwischen denen die Kette fixiert ist. Die Enden sind geschnitzt und weisen
spitz nach außen. Um mir ihre Technik zu demonstrieren legt sie einen Eintrag
in die Kette ein und beginnt ihre Arbeit an einer Seitenbahn für eines der
Umschlagtücher der Männer. Tai muti, sagt Agus, heißt das fertige Gewebe, das aus einer
weißen Mittelbahn und zwei rotbraunen, ikatgemusterten Seitenbahnen
besteht. Koroh nennt Agus das Vogelmotiv in den Rauten des Ikatstreifens. Vollständiger Kor kase, fremder Vogel, verbessert ihn
seine Mutter. Kase bedeutet
fremd, das weiß ich, bezeichnet alles, was nicht einheimisch, nicht meto, ist. Doch welcher Vogel heißt Koroh?
Der Kor kase stellt die Alten dar, ergänzt sie noch. Ich frage nach, die
Verstorbenen, die Ahnen. Lächelnd bejaht sie. Ich frage sie nicht, ob das
Vogelmotiv die Seele der Verstorbenen zeigt, obwohl mir die Frage auf der Zunge
liegt. Ich schweige, weil ich nichts suggerieren will. Ihr Lächeln irritiert
mich. Hat sie geahnt, was ich hören will? Sie ist eine alte Frau, die noch die
Niederländer erlebt hat. Stattdessen frage ich sie nach der Herkunft der
Baumwolle. Sie spinnt nicht selbst, sondern kauft ihr Garn auf dem Markt. Der
Anbau von Baumwolle lohnt sich nicht mehr. Seit Jahren gibt es eine Schnecke,
die die Baumwollsträucher schädigt. Auch die Maispflanzen sind bedroht. Das
Garn für die Ikatpartien färbt sie weiter selbst. Das muss so sein, das sei
Tradition, da gibt es keine Alternative. Dreißig Farbbäder. Ein Jahr lang,
behauptet sie. Die abgebundenen Ikatstränge legt sie fünf Tage in eine Beize
aus der Wurzelschale eines Baumes; Morinda citrifolia L., baukulu in Uab Meto. In der Beize
verwendet sie außerdem Salz und zerstoßene Kemiri-Nüsse. Nach fünf Tagen
trocknet sie die Stränge an der Luft und wiederholt den Färbevorgang solange
bis der Rotton sie befriedigt. Die anderen Arbeiten sind weniger zeitintensiv.
Das Abbinden der Kette für einen Tai muti erfordert eine Woche. Das Abweben
schafft sie innerhalb eines Monats. Agus Mutter zeigt mir ein fertiges Gewebe,
den dreiteiligen, röhrenförmigen Rock der Frau. Tai koroh nennt sie den Rock, der sich
von der Männerkleidung nur durch die fehlende weiße Mittelbahn unterscheidet.
Aber warum ist der Vogel auf dem Frauenrock kein fremder mehr? Gibt es etwa
einen männlichen korkase und einen weiblichen koroh? Ein Präfix, kor-, differenziert. Die erste Silbe.
Der Wortstamm -roh. In vielen indonesischen Sprachen bedeutet roh, Geist oder Seele. Doch Vorsicht,
dies sind europäische Konzepte, die vielleicht mit den monotheistischen
Religionen nach Indonesien kamen. Ich belasse es bei der Frage: Ist der
Koroh ein Seelenvogel und deshalb fremd? Nicht mehr heimisch für die Lebenden.
Unheimlich und fremd. Die ikatgemusterte Kleidung begleitete den Toten früher
ins Grab. Nimmt man das Motiv beim Namen, dann wurde er in Vögel gewickelt zu
Grabe getragen. Das ist nicht zu weit hergeholt. Doch Koroh hieß auch die
letzte Herrscherdynastie in Amarasi. Ist Koroh etwa ein Klanname? Oder gar ein
Totem? Wer ist der Koroh-Vogel? So viele Fragen, die Agus und seine Mutter in
Schwierigkeiten bringen. Zuletzt lächeln sie nur noch und schweigen.
Das Koroh-Motiv gehörte früher der
herrschenden Klasse. Bei Androhung der Todesstrafe war es niemand
anderem gestattet, Ikatmotive zu verwenden. Seit Amarasi eine Provinz
Indonesiens ist, sind die Motive frei verfügbar. Jeder darf sie kopieren und
verwenden. Jeder Atoin Meto trägt heute das Ornat, das früher für den Adel
reserviert war. Ikatgemusterte Kleidung ist kein Privileg des Adels mehr.
Koroh. Dieser Vogel ist nicht
modern. Ganz im Gegenteil. Er ist ein Emblem des Alten, der überlieferten
Techniken und Methoden der Garn- und Textilproduktion. Ihr ist es gleichgültig,
was das Motiv bedeutet. Was zählt ist, dass Koroh-Gewebe keine
Alltagstextilien sind. Sie gehören zu den großen Feierlichkeiten der
Lebenszyklusrituale: Geburt, Heirat und Tod. Der Koroh ist immer dabei.
Dieser Information folgt meine erste Desillusionierung im Feld. Bildhaft entsteht ein Durcheinander von Formen, Motiven und Farben vor meinem inneren Auge, ein verwirrendes Puzzle ikonographischer Möglichkeiten, die individuelle Kreativität der Weberin noch nicht einmal berücksichtigt. Mich beschleichen Zweifel, zuerst noch leise, ob es überhaupt möglich ist, die Motive und Farbpräferenzen so zu ordnen, dass sie intraethnisch klassifikatorisch sind. Agus Mutter behandelt die Ikatmotive mit Respekt. Sie verwendet für die Ikatmotive nur Naturfarben, sagt sie, und einen komplizierten Färbeprozess; eine überlieferte Regel, die nicht gebrochen werden darf. Das rotbraune, synthetisch gefärbte Garn, das auf dem Markt angeboten wird, verwendet sie nur für andere farbige Streifen. Leider gibt es kaum noch einheimische Baumwolle. Sie kann einen feinen Faden spinnen, und würde nur diese für ihren Ikat verarbeiten. Nur die so produzierte Kette ist die Heimat des
Dieser Information folgt meine erste Desillusionierung im Feld. Bildhaft entsteht ein Durcheinander von Formen, Motiven und Farben vor meinem inneren Auge, ein verwirrendes Puzzle ikonographischer Möglichkeiten, die individuelle Kreativität der Weberin noch nicht einmal berücksichtigt. Mich beschleichen Zweifel, zuerst noch leise, ob es überhaupt möglich ist, die Motive und Farbpräferenzen so zu ordnen, dass sie intraethnisch klassifikatorisch sind. Agus Mutter behandelt die Ikatmotive mit Respekt. Sie verwendet für die Ikatmotive nur Naturfarben, sagt sie, und einen komplizierten Färbeprozess; eine überlieferte Regel, die nicht gebrochen werden darf. Das rotbraune, synthetisch gefärbte Garn, das auf dem Markt angeboten wird, verwendet sie nur für andere farbige Streifen. Leider gibt es kaum noch einheimische Baumwolle. Sie kann einen feinen Faden spinnen, und würde nur diese für ihren Ikat verarbeiten. Nur die so produzierte Kette ist die Heimat des
Später zeigt mir Agus Mutter
einen Gürtel mit zwei kräftig rot-schwarzen Ikatstreifen. Nebeneinander
liegende Rauten vor einem scharlachrotem Hintergrund. Das Baumwollgarn und die
Farbe für die Ikatmotive hat sie auf dem Markt gekauft, und das Garn in einem
einzigen Farbbad selbst gefärbt. Dieser Gürtel ist ein hässliches Stück, dass
die Atmosphäre in dem Moment vergiftet, als ihn Agus Mutter hervorholt, und
mich in die Realität zurückholt. Eine Ware für den Markt, für den Touristen,
den beide in mir sehen. Ich soll dieses hässliche Stück Tuch für einen
astronomisch überhöhten Preis kaufen. Die Gewebe mit dem Koroh-Motiv sind
unverkäuflich. Baun und meine Idealisierung zerstieben ins Niemandsland. Die
Vorstellung, die sie für mich inszeniert haben, ist beendet. Von Anfang an
stand das Ziel fest: Ich soll diesen Schal kaufen, zahlen und gehen.
Agus begleitet mich zurück zur
Straße. Gemeinsam warten wir auf das Bemo zurück nach Kupang. Ich spreche einen
alten Mann aus Baun an. Er will zum Markt nach Oepura. Er trägt einen dieser Tai muti
mit dem Koroh. Über seine Bedeutung mag er nicht reden. Entschuldigend hebt er
die Schultern und lächelt gewinnend. Über die linke Schulter hat er lose einen
Gürtel gehängt, der dem gleicht, den ich gerade gekauft habe. Ein weißes Hemd
mit dunklem Nadelstreifen. Ein Regenschirm. Eine kleine Reisetasche. Seine
vollständige Kleidung. Ich sehe diese modernen Gürtel nun häufig in Kupang. Bei
Männern und bei Frauen: lose über einer Schulter hängend, um den Hals
geschlungen, auf dem Kopf einer Frau aufgerollt, um eine Last zu
transportieren. Niemand befestigt damit Hüfttuch oder Rock auf der Hüfte. Noch
während wir warten, kommen zwei junge Frauen mit ihren Kindern. Der Junge hat
sich ein hölzernes Instrument unter den Arm geklemmt, das aussieht wie eine
kleine Gitarre. Im ersten Moment halte ich das Instrument für ein Kinderspielzeug.
Doch es ist eine reku,
ein regionales Saiteninstrument, das zusammen mit mehreren unterschiedlich großen,
eisernen Gongs, die schlicht besi, Eisen, heißen, zum Tanz aufspielt. Die Reku gibt den Ton, das Gongensemble den Rhythmus an. Ich verabrede mich mit Agus für den nächsten Morgen in
Kupang, habe aber schon jetzt das Gefühl, dass er nicht kommen wird. Agus
wartet, bis ich in ein Bemo gestiegen bin, und nach Kupang zurückfahre. Ich
sehe ihn noch kurz auf dem leeren Platz stehen, dann biegt das Bemo ab. Zuerst
tröpfelt es, dann versinkt die Welt in einem heftigen Niederschlag.
>Weiterlesen: Amanuban Mon Amour
Copyright 2020. All Rights Reserved (Text and Pictures)
Der Text Ein Greenhorn in Amarasi ist urheberrechtlich geschützt. Die Seiten und deren Inhalt dürfen nicht kopiert und nur zum privaten Gebrauch verwendet werden.
Jegliche unautorisierte gewerbliche Nutzung ist untersagt.
Keine Kommentare:
Kommentar veröffentlichen