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09 September 2022

Kamm und Flöte


Eins


Was ist erforderlich, das Fremde angemessen darzustellen?


Es ereignete sich an einem meiner letzten Tage in Soë. Jedenfalls in der letzten Woche. Kurz vor meinem Abflug nach Bali. Eines Morgens steht Sapay unerwartet vor der Tür. Es ist noch früh. Für mich, weniger für ihn. Er ist schon einige Stunden unterwegs und muss sein Haus in Nunusunu vor Sonnenaufgang verlassen haben. Ich muss unbedingt noch jemanden kennenlernen, drängt er, fällt gleich mit der Tür ins Haus. Jemand wichtigen. Einen Mann. Er wohnt ganz in der Nähe, am Ende der Jalan Ahmed Yani. Dort, wo es zu den Bungalows der Provinzregierung hinaufgeht.
Meine Arbeit in Amanuban ist beendet. Meinen Abschied habe ich vor einer Woche aufwändig zelebriert. Alle sind gekommen. Reden und Geschenke wurden ausgetauscht. Ein Schwein wurde geschlachtet und gegessen. Und vieles mehr. Der Abschied vollendet. Was bleibt ist ordnen, packen, abreisen. Ob ich will oder nicht. Der neue Beamte im Kantor Imigrasi in Kupang hat ein Machtwort gesprochen. Über meine Wünsche hinweg, meine Beziehungen ignorierend, jeden meiner Freunde in Amanuban beleidigend. Er schickt mich zurück nach Deutschland, weil ich meine Aufenthaltsgenehmigung überzogen habe. Er ist Jawaner. Und das reicht. Wäre ich nicht Deutscher, sagt er, würde er mir Schwierigkeiten machen, die ich nicht vergessen werde.

25 September 2020

Ankunft in Amanuban


Im Zweilicht der kurzen Dämmerung der Tropen hält ein großer Überlandbus aus Kupang in Oebesa. Die vierstündige Fahrt von Kupang herauf war anstrengend, der Bus bis auf den letzten Platz besetzt. Im Gang waren die Notsitze ausgeklappt, Säcke, Taschen und an den Beinen gefesseltes Geflügel verstopfte die letzten freien Stellen. Unter die linke vordere Sitzbank hatte man mitleidlos ein Schwein geklemmt, dessen ängstliches Grunzen schwer zu ertragen war. Auf dem Dach des Busses sah es nicht viel besser aus. Die meisten Fenster fehlten, die übriggebliebenen und die beiden Türen standen offen. Ich saß fröstelnd im Fahrtwind, das Hemd noch feucht von der schwülen Luft der Ebene, die auch Nachts anhielt. Erst als der Bus an Höhe gewann, wurde es kühler. Den einheimischen Passagieren ging es nicht besser. Sie hüllten sich in ihre farbenprächtigen Tücher und blickten stoisch in die Nacht. An der hinteren Tür hatte es sich der Schaffner bequem gemacht, ein junger Mann, der in jedem Ort aus der Tür hing, und den Passanten die Fahrtroute zurief.

04 Februar 2020

Ein Greenhorn in Amarasi


Für meinen ersten Ausflug aus dem Schutz der Stadt wähle ich Baun, eine Ortschaft im Regierungsbezirk Kupang; Landkreis Westamarasi. Dieses Mal will ich es allein versuchen, auf dem Land, mich von jeglicher Bevormundung durch Nachbarn oder Behörden befreien. Keine Empfehlung mehr, nicht mehr an die Hand genommen werden von Gutmenschen, die glauben, besser zu wissen, wonach ich suche, als ich selbst. Meine Versuche, eine Basis für meine Forschung zu finden, waren bisher enttäuschend. Es fällt mir noch immer schwer, mich für eine Region, eine bestimmte Ortschaft, zu entscheiden.

15 Dezember 2019

Der Yogin im Hinterwald


1 Simon Petrus ist ein Asket. Ein Übender. Ein sich bewusst Werdender. Simon Petrus ist ein Mensch. Was ist er noch? Er ist ein Banamtuan, ein Herr von Banam. Und als ein Banamtuan schaut er auf eine Reihe bedeutender Ahnen zurück. Banam heißt heute Amanuban, ein Landkreis der modernen indonesischen Bürokratie. Im Herzen Westtimors gelegen, eine Savanne, ein hügeliges Land, sanfte Hänge, schroff abfallende Schluchten, bizarre Felsformationen (fatu), Skulpturen, von urzeitlichen Bildhauern in die Landschaft geschlagen. Fantastisch!
2 Simon Petrus ist ein Heiler, der Hände auflegt und Beschwörungen murmelt. Ihm zur Seite steht ein mysteriöser Hilfsgeist, der im einst in der Kirche in Mauleum erschienen ist. Im Auge des Ethnographen ist er ein seltsamer Heiliger. Er ist auch Katechist (penatua), der sich in Fragen protestantischer Religion auskennt. Simon Petrus ist Traditionalist; soweit das in Amanuban heute noch möglich ist. Das vorindonesische Banam konkurriert mit dem modernen Amanuban. Der mysteriöse Charakter dieser Landschaft, den ihr früherer Name evoziert, ist entzaubert. Mythologische Tradition: Ama (Vater) Nuban, die symbolische Personifizierung eines Ur-Vaters, der im Dunkel der Jahrhunderte außer seinem Namen Nuban kaum weitere Spuren hinterlassen hat. Nuban heißt außerdem eine der rezenten Namengruppen der Atoin Meto. Der Name des Herrschers von Banam, der auf dem Tafelberg Tunbes im Osten Amanubans residierte war einst Nuban, in der Zeit, bevor Nope kam und eine neue Dynastie gründete. Dann erst kamen die Banamtuan.
Im Register der rituellen Rede Tonis ist immer nur von Banam die Rede, auch wenn die Landschaft jetzt Amanuban genannt wird. Das entsprechende Ortsnamenbündel, das Amanuban in diesen Texten repräsentiert lautet: Nenu und Banam, Bunu und Bi Teno, vier Orte, die als Ursprungsort einer Migration aufgefasst werden müssen, von denen einer Banam heißt, der so bedeutend war, dass er die Landschaft und das politische Reich bezeichnete. Die Amanuban benachbarten Territorien Molo und Miomafo besitzen ein eigenes, unterscheidenes Ortsnamenbündel, das die Migrationsgeschichte des Reichs des Sonba`i nachzeichnet: Molo und Miomafo, Pai Neno und Oenam. Das moderne Amanuban ist ein Verwaltungsbezirk der indonesischen Administration, politisch unter javanischer Hegemonie. Kulturell und politisch ist Amanuban besetztes Land. In der Schule lernen und sprechen die Kinder Indonesisch. Das schriftlose Uab Meto, die Landessprache, ist Umgangssprache in den Dörfern. Disqualifiziert zum Dialekt. Dawan, Hinterwälder, oder erst recht fantasielos Timoreezen, nannten die niederländischen Besatzer und frühen Ethnographen verächtlich die einheimische Bevölkerung der Atoin Meto. Als Hinterwälder, Tagediebe, Wegelagerer und gefährliche Kopfjäger sind sie in die Berichte der niederländischen Missionare, Händler und Reisenden eingegangen und abgewertet worden. Ein ethnisches Vorurteil selbstverständlich. Sie selbst nennen sich die Menschen des trockenen Landes: Atoin Pah Meto. Westtimor ist Savanne seit die Chinesen, Araber und zuletzt die Niederländer und Portugiesen die einst reichen Sandelholzwälder der Insel bis auf den letzten Baum abgeholzt haben. Als die verbliebenen Schiffe der Magellan-Weltumseglung unter Kapitän Juan Sebastián Elcano die Nordküste Timors Mitte des 15. Jahrhunderts erreichten, war Timor eine von Sandelholzbäumen bedeckte Insel, ein gigantischer Sandelholzwald, von dem nichts geblieben ist. So jedenfalls berichtet es der Bordchronist der Expediton, Antonio Pigafetta. Eine rezente Wiederaufforstung: bislang negativ. Bis auf einige wenige ökologische Projekte, meist mit ausländischen Geldern finanziert. Tief im Boden der verkarsteten Insel versteckt liegen riesige unterirdische Wasserreservoirs, die ungenutzt ins Meer abfließen. Landwirtschaft ist ein Glücksspiel mit dem Monsun. Hunger noch nicht ganz Vergangenheit.