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20 Oktober 2022

Kleine Gesichter


Wenn mir die Gelegenheit zu einer Reise fehlt, wendet sich mein Blick nach innen, in eine Vergangenheit, die mir allein gehört. Auf eine Spur, die mein Leben jahrzehntelang in die Welt getreten hat, die zurückführt zu den Bildern und Gefühlen, die in Erinnerungspalästen auf mich warten.

Mitte der Sechziger. Ich war vierzehn, vielleicht auch schon fünfzehn, ich weiß es nicht mehr genau. Nachkriegsjahre. Ich wuchs inmitten einer reaktionären und kleinbürgerlichen Welt auf, die noch von der Atmosphäre des Faschismus bestimmt war. Ich konnte gar nicht so viel bestraft werden, wie ich aus der Rolle fiel, die Eltern und Lehrer für mich konfiguriert hatten. Das bedeutete: autoritäre Bezugspersonen, leibfeindliche Sexualmoral, erstarrte Regeln und Werte, und Erwachsene, die nicht so handelten, wie sie es von uns verlangten. Ich schwärmte für die Musik der Band The Small Faces. Unter anderen, denn in diesen Jahren schossen sie in einer Vielfalt aus dem Boden, wie Unkräuter, nicht zu bremsen von den Sanktionen, die unsere Eltern und Lehrer Erziehung nannten. Frische Triebe nach einem warmen Frühlingsregen auf den Trümmern einer gebrochenen Gesellschaft. Eins ihrer Alben heißt from the beginning, ihr zweites, und signalisiert, worum es geht. Um einen Neuanfang. My Generation von The Who, eine Hymne, musikalisch so progressiv, dass man sie mittlerweile als den ersten Punksong betrachtet. Auf dem Small-Faces-Cover: fünf Jüngelchen, College Boys, noch grün hinter den Ohren. Jungs wie ich. Sie setzten eine Bewegung in Gang, zusammen mit den vielen anderen, die auch nicht älter waren. Eine Bewegung, die Grenzen sprengte. Von Vietnam, Studentenbewegung und Anti-Atom-Bewegung war noch nicht die Rede. Das kam erst später. Dafür Rote-Punkt-Aktion, das Che-Guevara-Haus in Aachen und der Club Liberté. Und wir, wir gründeten unseren ersten Debattierclub: IDA - Information, Diskussion, Aktion. Im Gefolge von James Dean, der in Jenseits von Eden und in denn sie wissen nicht, was sie tun den Generationskonflikt zum Modell des Widerstands propagierte. Mit diesen Idolen und ihren Botschaften wandten wir uns gegen die Väter, die, versehrt durch das Trauma von zwei Kriegen wie Gespenster ihren Routinen folgten, ängstlich bemüht, sie zu bewahren, um nicht in der Dunkelheit in ihrem Inneren zu versinken. Die ersten Gedanken an eine politische Revolte leuchteten am Horizont. Wir waren Idealisten. Und selbstbezogen, hedonistisch, narzisstisch. Denn zuerst wollten wir uns selbst befreien. Bands wie die Small Faces waren die Aufsteher, Vorbilder und Leuchttürme, um den Kurs zu halten. Visionäre der Tat, gegen eine Gesellschaft, die sich schuldig gemacht hatte, Freiheit und Frieden verraten zu haben. Über ihrem Aufbruch prangt das Label: The Birth of Rock n´Roll. Sie waren eine der ersten. Danach war alles anders.

25 September 2020

Ankunft in Amanuban


Im Zweilicht der kurzen Dämmerung der Tropen hält ein großer Überlandbus aus Kupang in Oebesa. Die vierstündige Fahrt von Kupang herauf war anstrengend, der Bus bis auf den letzten Platz besetzt. Im Gang waren die Notsitze ausgeklappt, Säcke, Taschen und an den Beinen gefesseltes Geflügel verstopfte die letzten freien Stellen. Unter die linke vordere Sitzbank hatte man mitleidlos ein Schwein geklemmt, dessen ängstliches Grunzen schwer zu ertragen war. Auf dem Dach des Busses sah es nicht viel besser aus. Die meisten Fenster fehlten, die übriggebliebenen und die beiden Türen standen offen. Ich saß fröstelnd im Fahrtwind, das Hemd noch feucht von der schwülen Luft der Ebene, die auch Nachts anhielt. Erst als der Bus an Höhe gewann, wurde es kühler. Den einheimischen Passagieren ging es nicht besser. Sie hüllten sich in ihre farbenprächtigen Tücher und blickten stoisch in die Nacht. An der hinteren Tür hatte es sich der Schaffner bequem gemacht, ein junger Mann, der in jedem Ort aus der Tür hing, und den Passanten die Fahrtroute zurief.