11 September 2022

Die schwarze Mühle im Koselbruch


Ich kann nicht, alle Gedanken, Gefühle und Eindrücke aufschreiben, die während meiner Wanderung auf der Via Regia kommen und gehen. Sie sind an ihren Ort und an ihre Zeit gebunden. Ein paar Schritte später werden sie von anderen Empfindungen abgelöst. Neue Wahrnehmungen, Erinnerungen und Faszinationen schieben sich ungefragt an ihre Stelle. Ein fließender Prozess der Verdrängung und Erneuerung. Nicht alles, was die Natur, die Landschaften und Begegnungen, mir geben, nicht alles, was mir unterwegs, auf Schritt und Tritt, einfällt, zustößt und zufällt, hat Beständigkeit. Ich sollte mein Tagebuch in Schritte gliedern, nicht in Kapitel. Die Kontinuität, der emotionale und mentale Flow des Gehens, bleibt erhalten, erinnert im Vorübergehen an die Vergänglichkeit jeder Existenz. Sicher, es wäre schön, doch es ist nicht realistisch. Abends sind viel zu oft unterschiedlich vage Erinnerungen ohne ihren Kontext übriggeblieben, die ihren Weg aufs Papier finden. Würde ich unterwegs ständig innehalten, den Rhythmus des Gehens unterbrechen, meine Aufmerksamkeit auf konkrete Details richten, mein Notizbuch hervorholen, um in die Welt des Schreibens eintauchen, das ganzheitlich leibliche Erlebnis einer Wanderung zerfiele in seine Einzelteile: sinnlich und kognitiv, emotional und mental, innen und außen, profan und sakral. Es wäre eine seltsame Fußreise, die sich nicht mehr vom Schreiben unterscheidet. Zu intensive Reflexion schadet dem leiblichen Spüren, denn die Gedanken schneiden die sinnliche Wahrnehmung von ihrem Gegenstand ab. Jakob von Uexküls Merkwelt und Wirkwelt zerfielen in zwei getrennte Hälften. Viele Eindrücke und Begebenheiten verlieren ihre holistische Qualität; gehen unwiderruflich verloren. Beim Gehen des Schreibens wegen innezuhalten, eine schlechte Wahl. Was ich zu Fuß gehend denke und fühle, all die Imaginationen und Inspirationen des Unterwegsseins, verschmelzen in meiner Stimmung, tönen die Atmosphären der Landschaft, und machen den einen besonderen Gang aus. Im Gehen spüre und erfahre ich mich, physisch und psychisch, Schritt für Schritt. Die Flüchtigkeit der Eindrücke, Augenblick nach Augenblick vorüberziehend, verdichten sich zu einem Panorama des Loslassens. Das Glücksgefühl stellt sich erst ein, wenn Gefühle und Gedanken zu fließen beginnen, sich innere und äußere Welt, Leib und Geist, miteinander verbinden. In seltenen euphorischen Momenten Einswerden mit der Welt, die uns umgibt – im Gehen. Am Ende des Tages haben sich alle diese Eindrücke und Atmosphären zu einem einzigartigen Gesamteindruck gestaltet, aus dem wie ein Berggipfel im Nebelmeer ein besonders psychisch besetztes Detail herausragt. Die Ernte des Reisens!

Die Oberlausitz, besonders zwischen Bautzen und Kamenz, ist das Land der Sorben, oder der Wenden, wie man sie weiter nördlich nennt. Kulturell gibt es keinen Unterschied.
Die Via Regia führt durch das Dorf Nebelschütz, oder Njebjelčicy, das seit 1304 besteht und knapp 2000 Einwohner zählt, von denen zwei Drittel sorbisch sprechen. Der Ort präsentiert sich mit einem besonderen Detail sorbischer Kultur und liegt am Schnittpunkt von drei Naturräumen: nach Nordosten erstreckt sich die ebene Oberlausitzer Heide, ein Teichgebiet mit reichem Fischbestand und zahlreichen Angelmöglichkeiten, nach Südosten die flachen Wellen des Oberlausitzer Gefildes und nach Westen das Westlausitzer Hügel- und Bergland. Ursprünglich gehörte das Dorf den begüterten Herren von Kamenz. Auch das sächsische Adelsgeschlecht der von Metzradt, die zum Oberlausitzer Uradel gehören, soll zeitweise Besitzer von Nebelschütz gewesen sein. Die Zisterzienserinnen des nahegelegenen Klosters Sankt Marienstern gehörten einst ebenfalls zu den Nutznießern der landwirtschaftlichen Produktion von Nebelschütz, das ihnen von Beginn des 16. Jahrhunderts bis zur Ablösung der Grundherrschaft 1832 ganz gehörte. Nur aus diesem Grund ist die Bevölkerung des Ortes während der Reformationszeit katholisch geblieben. Mitten im Ort, unmittelbar an der Via Regia, der Hohen Straße, die im Mittelalter Schlesien mit den Häfen der Niederlande verband, steht eine hüfthohe Steinskulptur. Sie stellt eine mittlerweile über die Lausitz hinaus bekannte Figur der deutschen Literatur- und Filmszene dar: Krabat, die in sorbischen Landen seit jeher populäre Sagengestalt, die nun durch einen Roman von Otfried Preußler und eine aktuelle Verfilmung von Marco Kreuzpaintner jeder kennt. Auch ich begegnete den Sorben erstmals in Otfried Preußlers Jugendroman Krabat; inzwischen lange her. Jahrzehnte später traf ich Krabat wieder, auf meiner Wanderung auf der Via Regia, in dem kleinen Ort Nebelschütz, von dem ich noch nie gehört hatte, als steinerne Skulptur, die ihn als einen Mann mit beeindruckendem Schnurrbart darstellt. So hatte ich ihn mir allerdings nicht gedacht. Dort markiert er den Kolesorwarski pucik, den Krabat-Radrundweg, der hier beginnt. Keine alltägliche Begegnung, sondern eine mit überraschenden Implikationen, die eine Kette von Gedanken und Gefühlen auslöste. Das Krabat-Thema fassen die Autoren in einen Entwicklungs- und Bildungsroman, der eine Sage mit indo-europäischer Symbolik aufgreift, dessen Motive im kollektiven Gedächtnis so präsent sind, dass sie in verschiedenen Versionen und Medien stets aktualisiert und aufs Neue bearbeitet wurden.

Otfried Preußler schrieb zehn Jahre an seinem Jugendbuch Krabat, das 1971 erschien, und auf Motiven einer sorbischen Sage basiert. Darin erzählt er von Ereignissen, die sich Ende des 17. Jahrhunderts in der Nähe des Orts Schwarzkollm, in der Oberlausitz, zwischen Wojerecy (Hoyerswerda) und Kamjenc (Kamenz), ereignet haben sollen. Die Geschichte spielt während der Zeit des Großen Nordischen Kriegs, der um die Vorherrschaft im Ostseeraum geführt wurde. Krabat, der vierzehnjährige Protagonist, hört im Traum die Rufe eines Rabens, der ihn in den Koselbruch lockt, in die Nähe von Schwarzkollm; ein Straßenangerdorf, heute ein Ortsteil des zehn Kilometer östlich entfernten Hoyerswerda. Dort tritt eine Lehrstelle in einer Mühle an, um der herrschenden Not und Armut, die unter der Bevölkerung herrscht, zu entkommen. Die Mühle stellt sich als ein übler Ort heraus, der Lehrherr als unheimlicher Meister, der zwölf Müllersburschen beschäftigt, um eine Mühle zu betreiben, die mehr als nur Getreide zu Mehl vermahlt. Schnell bemerkt Krabat, dass es sich um eine Schwarze Mühle handelt, in der ein Zauberer junge Männer in Schwarzer Magie unterrichtet. Auch Krabat lernt in der Mühle nicht nur das Müllerhandwerk, sondern der Müller unterrichtet auch ihn in Schwarzer Magie, in der er ihn bald überflügelt. Er erlernt von ihm das Zaubern, wie man sich mittels magischen Praktiken die Arbeit erleichtert, sich durch Zeit und Raum bewegt und wie man sich in einen Raben verwandelt. Die Rockband ASP, die ihren Stil als Gothic Novel Rock bezeichnet, hat sich in ihrem Album Zaubererbruder – Der Krabat-Liederzyklus neuerdings der Krabat-Thematik angenommen. In ihrem Song Krabat setzten sie 2008 die Art und Weise des Unterrichts des Müllers der Heidemühle lyrisch ins Bild:

Sein Blick fährt mir durch Mark und Bein
Mit einem Auge nun erfasst er
Dich, du willst vor Angst vergehn
Das andre unter einem Pflaster
Schwarz und kann doch alles sehn
Ich komme mir so schrecklich nackt vor
Zauberspruch um Zauberspruch
Liest er uns vor aus dem Koraktor
Weiße Schrift im schwarzem Buch

Und mir sprießen Rabenfedern
Und so flieg ich unerkannt
Über Grenzen in das Leben
Wie der Wind schnell übers Land
Und ich breche alle Regeln
Um heut Nacht bei dir zu sein
Fühl mein Rabenherz, es schlägt so
Schnell und nur für dich allein

Der Müller hat sich dem Bösen verschrieben. Am Ende eines jeden Jahres opfert er einen seiner Schüler, andernfalls muss er selbst sterben. In Preußlers Version, an die sich der Film Kreutzpainters eng anlehnt, erlöst die Liebe des Mädchens Kantorka Krabat aus seiner destruktiven Bindung an die Mühle und den Müller. Sie erscheint in einer Silvesternacht in der Mühle, besteht die notwendige Prüfung und bittet Krabat frei, was der Müller nun nicht mehr ablehnen kann. In der gleichen Nach stirbt der Meister und die Mühle geht in Flammen auf. Krabat stiehlt dem Müller sein Koraktor, eingeprägte Schriftzeichen, ein Sammelname für Zauberbücher in den Sagen der Oberlausitz. Die Macht der magischen Kräfte, die in diesen Formeln gebunden sind, setzt Krabat nach seiner Befreiung aus der Schwarzen Mühle zum Guten ein. Heutzutage erinnern sich die Sorben an ihn als an einen guten Zauberer, und überliefern seine Geschichte als eine von Freundschaft und Verrat, Unterdrückung und Freiheit sowie Liebe und Tod.
In Otfried Preußlers Version entscheidet sich Krabat dafür, Gutes zu tun. Am Ende siegt das Gute über das Böse. Ein Happy Ending in bester Hollywood-Manier. Auf seiner Website erläutert Preußler die Motivation, auf der seine Krabat-Version basiert: Mein Krabat ist keine Geschichte, die sich nur an junge Leute wendet, und keine Geschichte für ein ausschließlich erwachsenes Publikum. Es ist die Geschichte eines jungen Menschen, der sich mit finsteren Mächten einlässt, von denen er fasziniert ist, bis er erkennt, worauf er sich da eingelassen hat. Es ist zugleich meine Geschichte, die Geschichte meiner Generation, und es ist die Geschichte aller jungen Leute, die mit der Macht und ihren Verlockungen in Berührung kommen und sich darin verstricken. Da gibt es nur einen Ausweg, den einzigen, den ich kenne: den festen Willen, sich davon freizumachen, die Hilfe von treuen Freunden - und jene Hilfe, die einem aus der Kraft der Liebe zuwächst, der Liebe, die stärker ist als die Macht des Bösen und alle Verlockungen dieser Welt.

Das Motiv der Erlösung durch schwierige Prüfungen ist vielen Märchen vertraut. Allein die Kinder- und Hausmärchen (KHM) der Gebrüder Grimm überliefern drei Märchen, die viel mit der sorbischen Sage von Krabat verbindet. Prototyp dieser Erzählungen ist vielleicht das Märchen Die zwölf Brüder (KHM 9), gleich zu Beginn der Sammlung, das Dorothea Viehmann, die Märchenfrau der Grimm-Brüder, die in Niederzwehren, heute der drittgrößte Stadtteil von Kassel, dem Bruder Jacob mündlich mitteilte. Sie erzählte ihm von zwölf Brüdern, die vor den Mordplänen ihres Vaters fliehen und sich in einem verwunschenen Häuschen tief im Wald verstecken. Dort findet sie ihre Schwester, die nach zehn Jahren von ihnen erfährt. Als sie aus Unwissenheit zwölf weiße Lilien abbricht, werden ihre Brüder in Raben verwandelt und fliegen davon. Die Schwester bricht auf, wie andere Schwestern in den Märchen Die sieben Raben (KHM 49) und Die sechs Schwäne (KHM 96), deren Grimmsche Versionen ebenfalls aus Hessen stammen. Einmal handelt es sich um Aufgaben des Vaters, die Söhne nicht erfüllen können, und die durch Prüfungen, die eine Schwester ablegt, ausgeglichen werden. Das andere Mal um die Verfolgung der Königskinder durch eine Hexe. Jedes Mal ist es eine Schwester, deren Mut und Beharrlichkeit eine Gruppe von Brüdern ihre Rettung und Erlösung verdankt. Das hohe Alter des Motivs der Schwanenhemden, die die Brüder im Märchen tragen müssen, bezeugt der Sage von Wieland dem Schmied (Völundarkviða), einer Heldendichtung der Lieder-Edda sowie das Schwanenschiff des Gralsritter Lohengrin, einer Nebenfigur des Parzival-Versepos des Wolframs von Eschenbach. Im Völundlied begegnen drei Brüder, Wieland, Egil und Schlagfidr, als sie von der Jagd heimkehren, drei Schwanjungfrauen (Walküren), die im Meer badeten und dazu ihr Schwangefieder abgelegt hatten.

Mädchen von Süden / Eine von ihnen
durch den Myrkwid flogen / Egil herzte
die schmucke Alwit / die schöne Maid
Schicksal zu weben / an schneeiger Brust.
zu säumen am Seestrand / Die andere war Schwanweiß
saßen sie niederland / trug Schwanenfedern
des Südens Kinder
[...]
spannen kostbares Linnen

Die Brüder raubten den Maiden ihr Gefieder, und zwangen sie, sieben Jahre mit ihnen zu leben. Aber im achten Jahr trieb es die Mädchen

durch den Myrkwid fort
die schmucke Alwit
Schicksal zu wirken
.

Raben sind Begleiter von Óðinn und Lugh, und die zitierten Beispiele schildern Schwan und Raben als Seelenvögel, wie auch der Schwan von Tuonela der Kalevala einer ist, und rücken beide in Verbindung mit Unterweltfahrt und Jenseitsreise, charakterisieren sie als Psychic Bird und Omenvogel. Die Kyffhäuser-Sage maskiert nur ungenügend die wahre Identität des Schläfers im Berg, den nordischen Weltenbaum und die letzte Schlacht der Asen und Vanen, Ragnarök, das Schicksal der Götter, denn Óðinns Raben kreisen um den Gipfel des Kyffhäuser, einen kleinen Berg südlich des Harz. Um diesen Berg rankt sich eine Sage der Bergentrückung, die Vorstellung, dass Personen aus der Welt der Menschen verschwinden, ohne zu sterben und sie in einer Unterwelt weiterleben. In Europa ist dieses Motiv weitverbreitet, und kommt in der Ynglingasaga vor, wo der schwedische König Sveigdir von einem Zwerg in einen Stein gelockt wird und für immer verschwunden bleibt. Auch in den skandinavischen Troll-Märchen spielt dieses Motiv eine Rolle, die von Wechselbälgen handeln, oder in irisch-keltischen Sagen, wo einsame Wanderer in die Anderswelt gelockt werden, aus der sie, wenn überhaupt, erst Jahrzehnte später wieder zurückkommen. Im Inneren des Kyffhäuser, so erzählt die Sage, schläft Kaiser Friedrich I. Barbarossa mit seinen Vasallen, während sein Bart durch den steinernen Tisch wächst, an dem er sitzt. Er ist der Friedenskaiser, Träger einer im Mittelalter verbreiteten eschatologischen Erwartung einer messianischen Herrschergestalt aus den Reihen der Frankenkönige, deren Erscheinen das Ende der Welt vorbereitet. Alle hundert Jahre erwacht der Schläfer im Berg, heißt es, doch wenn die Raben weiter um den Berg kreisen, schläft er ein weiteres Jahrhundert. Sobald sein Schaf endet, reiten er und seine Mannen zum Walserfeld, wo der vertrocknete Walser Birnbaum wieder erblüht. In der Völuspâ, der Älteren Edda (Verse 60-62), spricht die Seherin von Äckern, die unbesät Früchte tragen, von einer Zeit, in der sich alles Böse bessert und Leute ohne Ende in einem Saal, mit Gold bedeckt und heller als die Sonne, in Ehre wohnen. Dann ist die letzte Schlacht zwischen Gut und Böse geschlagen, in der es Feuer regnet und Krieger der Hölle entsteigen, um alle Seelen einzusammeln. In seinem Gedicht Barbarossa hat Friedrich Rückert die Kyffhäuser-Sage 1817 literarisch bearbeitet:

[...]
Er ist niemals gestorben,
Er lebt darin noch jetzt;
Er hat im Schloß verborgen
Zum Schlaf sich hingesetzt
.

Er hat hinabgenommen
Des Reiches Herrlichkeit,
Und wird einst wiederkommen,
Mit ihr, zu seiner Zeit
.
[...]
Er spricht im Schlaf zum Knaben:
Geh hin vors Schloß, o Zwerg,
Und sieh, ob noch die Raben
Herfliegen um den Berg
.

Und wenn die alten Raben
Noch fliegen immerdar,
So muß ich auch noch schlafen
Verzaubert hundert Jahr
.

Bis zu Beginn des 20. Jahrhunderts zog in den Winternächten ein gespenstiges Heer durch viele europäische Landschaften germanischer kultureller Überlieferung. In Deutschland kannte man es als Wilde Jagd oder Wütendes Heer, in Skandinavien als Oskarei, eine Ableitung von ásgard-reið, oder den Oensjaegeren, den Òðinnsjägern und in England als Wild Hunt. Die Schweiz hatte ihr Wuetisheer oder die Wilde Fare und selbst Frankreich, längst nicht mehr germanisch, bewahrte diese Erinnerung im maisne Hellequin (das Alte Heer). Bewaffnete schwarzgekleidete Männer, oder mit schwazen Gesichtern, zogen gemeinsam mit Hunden und Wölfen lärmend über Wald, Feld und bis über Dorfstraßen hinweg; Werwölfe waren in ihrem Gefolge keine Seltenheit. Voran ritt ein Mann, oft einem achtbeinigen Pferd: Óðinn-Wodan, der Reitergott Atriðr, der in die Schlacht Reitende, Fráriðr, der Voraus- oder Weitreitende. Auch der Schimmelreiter ist ein Reflex dieser Überlieferung, im Zentrum von Theodor Stroms Novelle der fiktive Deichgraf Hauke Haien. Dessen Beziehung zu dämonischen Tieren, Schimmel, Angorakatze oder Ratten und Otter spricht für sich selbst. Jalkr, Wallach, ist ein anderer Óðinnname, der in enger Beziehung mit der Zeugungskraft der Hengste steht. Daneben gibt es Traditionen, die vom Einsamen oder Wilden Jäger erzählen, der Jagd auf eine Hexe macht und sie durch die Lüfte verfolgt. Trotz der schreckenerregenden Phänome, die diese schaurige Prozession begleiteten, wurde sie ungeduldig erwartet, da sie Fruchtbarkeit über Feld und Vieh brachte.
Rituelle Maskenumzüge findet man als einen zentraler Bestandteil indo-europäischer Religiosität. Die bekanntesten Bespiele liefern das griechische Dionysosfest sowie die Sonnwendfeiern des indischen Mahābhārata. Ihren Sitz im Leben der altgermanischen Kultur besaßen diese winterlichen Umzüge in den ekstatischen Ritualen der Kriegerbünde um Óðinn-Wodan. Junge Krieger, liminoide Personen im Zustand der Initiation rituell ausgewildert, ihrer Alltagswelt und dem Einfluss der Frauen entfremdet, zogen in ritueller Communitas mit den verstorbenen Helden der Vorzeit umher. Die im Status der Liminalität zum Krieger erzogen jungen Männer waren besitzlos in dem Sinne, dass sie ihre Existenzgrundlage nicht durch produktive Arbeit erwirtschafteten. Die antiken, indo-europäischen Quellen berichten von Raubzügen für den täglichen Bedarf, von Rinderdieben und vom Recht auf Diebstahl und Raub. Oft in der Maske wilder Tiere oder Dämonen, besonders als Wölfe, die ihre eigene Wildheit, ihr Banditentum, repräsentiert, überfallen sie Dörfer und rauben Haushalte und Scheunen aus. Im liminoiden Zustand waren Diebstahl, Plünderung und Mord keine Verbrechen, sondern akzeptierte pädagogische Mittel einer Erziehung zum Krieger. Ein Dieb zu sein bedeutete keine Schande, wie beispielsweise verbreitete altgermanische Kriegernamen wie Valþjófr oder Gunnþjófr belegen (altsländ. valr-, ein dämonengestaltiger Räuber; þjófr, Dieb), Namen, die sich problemlos auf einen dämonischen Totenkult zurückführen lassen. In Nord- und Mitteleuropa fanden diese Traditionen besonders in den Rauhnächten zwischen Weihnachten und Neujahr ihren dramatischen Ausdruck. Noch als Reflexionen einst realer ritueller Umzüge bis heute bewahrt; ein archaischer Totenkult mit maskierten Protagonisten zwischen Weihnachtsumzug und Karneval.
Zwölf Nächte, die sogenannten Rauhnächte rund um den Jahreswechsel, zwischen dem 21. Dezember (Thomasnacht) und dem 6. Januar (Epiphanias), nehmen im europäischen Brauchtum eine besondere Bedeutung ein, wobei die zwölf Nächte regional unterschiedlich gezählt werden. Zu den vier wichtigsten Rauhnächten zählte neben der Thomasnacht, der Heilige Abend, dem Dreikönigstag auch Silvester. Das Jahresendfest Silvester wurde bereits im Römischen Reich gefeiert, erstmals 153 v.u.Z., als der Jahresbeginn vom 1. März auf den 1. Januar verschoben wurde, und ist älter als die christliche Überlieferung. In manchen Gegenden Deutschlands heißt Silvester der Altjahrabend, in Österreich auch das Alte Jahr, in den Niederlanden zumeist Oudejaarsavond und in Spanien Nochevieja, die Alte Nacht. Diese Nacht ist eine besondere Nacht des Jahres, markiert sie doch einen Übergang in eine neue Zeit, eine Schwellensituation, die in vielen Kulturen als gefährlich angesehen wird, und durch Rituale abgesichert werden muss. Diese Tage, die Zeit der Wintersonnenwende, wurde ursprünglich als eine Phase des Sonnenstillstands betrachtet, die saisonale Veränderungen mit sich brachte. Diese vier Nächte galten einst als so gefährlich, dass sie mit Fasten und Gebet verbracht wurden. In diesen Nächten zog in den stürmischen Nächten des Mittwinters die Wilde Jagd durch die Lüfte, sammelte die Seelen unglücklicher Wanderer ein und entführte sie in eine andere Welt. Erst nach dem Dreikönigstag endete die Wilde Jagd und die Nächte wurden wieder sicher. Die Etymologie des Namens dieser Nächte ist bered, geht er doch auf das mittelhochdeutsche rûch, haarig, zurück, auf das Fell der Dämonen, in anderer Lesart auch auf das Ritual, das das Böse bannen sollte: das reinigende Räuschern der Ställe mit Weihrauch in den kritischen liminalen Phasen des Jahres durch den Hofbauern. In dieser Zeit durfte keine weiße Wäsche auf der Leine hängen, weil sie die Wilde Jagd anlockte und der wilde Jäger sie stehlen und als Leichentuch für den Besitzer verwenden konnte. Niemand durfte in diesen Nächten Karten spielen, und Frauen und Kinder durften nach Einbruch der Dunkelheit nicht allein auf der Straße sein. Die Perchten im Alpenraum überwachten diese Vorschrift und die Roggenmuhme, ein Korngeist, berichtet Jakob Grimm in der Deutschen Mythologie, bestrafte Mägde, die in den Rauhnächten ihre Spinnrocken nicht abgesponnen haben.
Die Rauhnächte sind eine Zeit der Geisteraustreibung und Geisterbeschwörung, der Reinigung, Divination und magischen Praktiken. Insbesondere die Präsenz der Wilden Jagd, die zu Silvester, in der Mitte der Rauhnächte, als Geisterheer ihr Unwesen trieb, galten Angst und Sorge der Menschen. In diesen Nächten standen die Tore der anderen Welt weit offen, und die Übergängen zwischen den Welten waren fließend. Walküren, die Seelen von Verstorbenen und Dämonen zogen durch die Lande, angeführt vom wilden Jäger, der niemand anders, als Óðinn selbst ist. Menschen, die einen Pakt mit dem Teufel geschlossen hatten, wie der Müller der schwarzen Mühle im Koselbruch, den nicht nur seine schwarze Augenklappe als Óðinn-Wodan-Figur kennzeichnet, sondern auch zauberkundige Hexen und Menschen, die sich in Werwölfe verwandelten, und in dieser Gestalt Menschen und Vieh bedrohten, schlossen sich in den Rauhnächten Óðinn Heer an.

Der unheimliche Müller, der sich im Krabat dem Teufel verschrieben hat, stirbt in einer Silvesternacht, in der eine „Schwester“ ihre Prüfungen besteht und ihren Liebsten befreit. Der schwarze Müller, der in der Abgeschiedenheit der Mühle im Koselbruch junge Männer in die Zauberkunst einführt, verbirgt nur mühsam seine Óðinn-Wodan-Persönlichkeit. Man muss schon sehr an dieser literarischen Gestalt vorbeisehen, will man diesem Zusammenhang übersehen. Die indo-europäische, mythologische Wurzel der Krabat-Sage, das Licht-und-Schatten-Motiv der vielen Krabat-Versionen, ist universell und hängt nicht nur mit dem Brauch zusammen, die Neujahrsnacht zu feiern.
In dem ethnographischen Standardwerk The Golden Bough des Religionsethnologen James Frazer beschrieb dieser Halloween als ein altes heidnisches Totenfest mit einer dünnen christlichen Hülle. Halloween, All Hallow`s Eve, der Abend vor Allerheiligen, ein Name, der auf die besondere Bedeutung der Nacht vom 31. Oktober zum 1. November hinweist. Ein Fest, das schon die Kelten als Samain oder Samhain am Vorabend der Nacht zum 1. November feierten, wenn die Grenze der Welt der Lebenden und Toten durchlässig wurde. Die Menschen hatten in dieser Nacht einen Zugang zu der Anderswelt, besonders zu den Sid genannten Feenhügeln, deren Tore in dieser Nacht weit offen standen. Genauso gelangten die Bewohner dieser anderen Welt hinüber zu den Menschen. Deshalb war es nicht ratsam das Haus zu verlassen. Dem Gott der Unterwelt, Cenn Crùach, der Blutige Kopf, wurden an Samain Blutopfer dargebracht, um die chthonischen Gottheiten um neue Fruchtbarkeit für das kommende Jahr zu bitten. Samain, Halloween, Allerheiligen oder die Rauhnächte, immer ging es um rituelle Absicherung dieser Grenze. Noch heute ziehen Kinder an Halloween, wie einst die jungen Krieger der Germanen, bettelnd von Haus zu Haus, rufen den Bewohnern ihr Süßes oder Saures entgegen, und werden von diesen belohnt, damit sie ihnen keinen Schabernack spielen oder gar Schlimmes antun, wie die marodierenden germanischen Initianden im Gefolge der Wilden Jagd. In Bayern wird am 5. Januar traditionell das Rauhnachtbetteln (Rauhnubedln) veranstaltet. Ähnlich wie an Halloween ziehen Kinder und Erwachsene von Haus zu Haus und bitten um Krapfen und Kleingeld. Sie sagen einen Spruch aus, der klarstellt, was diesem Brauch zu grunde liegt: Heid is d’Rauhnacht, wer hods aufbrocht? A oida Mann is über Stiag oigfoin, hod se Birei und Borei brocha! Kropfa raus! Kropfa raus! Sunst stech ma enk a Loch ins Haus! - Heute ist die Rauchnacht. Wer hat es aufgebracht? Ein alter Mann ist über die Treppe gefallen hat sich die Wirbeln und Gebeine gebrochen! Krapfen raus! Krapfen raus! Sonst stechen wir euch ein Loch in das Haus.
Diese Vorstellungen haben sich auch in den apotropäischen Perchtenläufen des Alpenraums erhalten. Die Percht, eine Gestalt des baierisch-österreichischen Brauchtums, führt lärmende Umzüge an, vertreibt in der Maske dämonischer Weiber, heidnischer Gottheiten und wilder Tiere und mit umgehängter Glocke das alte Jahr in den Rauhnächten. Perchtenläufe gehören noch lange nicht der Vergangenheit an, sondern finden bis heute in Österreich, in Südtirol, der Schweiz und im Süden Deutschlands in der Nachweihnachtszeit, während der Rauhnächte, vom Heiligen Abend bis zum Dreikönigstag statt. Während das balinesische Neujahr (njepi) in Stille und ohne Licht und Feuer gefeiert wird, damit Dämonen, Unholde und böse Geister die Insel für uninteressant, da unbewohnt halten, vertreiben wir die bösen Mächte mit Böllern und Feuerwerkskörpern, zwei unterschiedliche Rituale, die dem gleichen Zweck dienen. Und auch im Alpenraum wird in allen Rauhnächten geböllert, wie es weltweit in der Silvesternacht geschieht, inzwischen ohne Bewusstsein für den ursprünglichen Brauch, als Begrüßung des Neuen Jahrs gefeiert. Einen vergleichbaren Brauch kennt man auch in Norddeutschland und im Süden Dänemarks, bei dem am frühen Silvesterabend Kinder geschminkt und verkleidet in Gruppen mit einem Rummelpott, einer Stab-Reibtrommel, von Haustür zu Haustür gehen und charakteristische Rummelpottlieder singen oder Reime aufsagen. Wie Halloween oder das Rauhnubedln handelt sich auch dort um einen Heischebrauch, bei dem es um das Fordern oder Erbitten von Gaben geht.

In den ältesten Versionen der sorbischen Sage, etwa bei dem Volkskundler Joachim Leopold Haupt, ist Krabat noch der böse Herr von Groß-Särchen, wie der schwarze Müller ein Protagonist, der Merkmale des altgermanischen Óðinn-Wodan bewahrt hat. Eine Info-Tafel in Nebelschütz verrät dem neugierigen Passanten ein diesbezüglich interessantes Detail der Krabat-Überlieferung: Dieser machte sich eines Abends eilig mit seinem Pferdegespann von Särchen in Richtung Dresden zum Schloss des Kurfürsten auf. In Dringlichkeit ließ er seine Kutsche mitsamt Pferden über die Wolken reiten und überquerte dabei Nebelschütz bis hin nach Kamenz; ein Motiv, das unverblümt auf das Geisterheer der Wilden Jagd anspielt, angeführt von Óðinn-Wōdan in seiner Rolle als Psychopomp, der die Seelen unvorsichtiger Wanderer einsammelt. Man erzählt sich auch, dass Krabat auf seinem Weg nach Dresden an der Kirchturmspitze der Hauptkirche von Kamenz, St. Marien, mit seiner Kutsche im Flug hängengeblieben ist, die seitdem etwas schief ist. Im Verlauf der volkstümlichen Überlieferung, sicher auch durch das Bemühen des Christentums, heidnische Bräuche zu akkulturieren, wird Krabat immer mehr zu einem Eulenspiegel, allmählich zu einem guten Herrn, der seine Künste zum Nutzen der Menschen oder zum Schabernack einsetzte. Schließlich schlich sich in den Sagenrest der Krabat-Überlieferung eine quasi-historische Erklärung ein, dazu gedacht, heidnisch-animistisches Gedankengut endgültig auszulöschen, um eine wohlfeile, rationale Erklärung für eigentlich Unerklärbares zu liefern. Der Name Krabat, der, wie wir nun wissen, nicht die Hauptperson der Überlieferung ist, soll von Hrvat, südslawisch Kroate abgeleitet sein, und auf einen Reiterobristen namens Johannes Schadowitz zurückgehen, der aus Kroatien stammte. Der Kurfürst Johann Georg III. von Sachsen hat ihn bei seiner Rückkehr von einem Feldzug im Jahr 1691 mitgebracht, weil dieser ihn vor der Gefangennahme durch die Türken bewahrt hatte. Zum Dank schenkte der Kurfürst ihm, nein, nicht die Schwarze Mühle im Koselbruch, sonders das Gut Groß Särchen vor den Toren der Stadt Hoyerswerda. Im Volksmund wurde der Obrist wegen seiner fremden Herkunft, seines Aussehens und seiner Eigenarten als Zauberer angesehen und Krabat genannt; insgesamt Merkmale, die er mit dem germanischen Gott teilt. Und selbst die Äußerung von Otfried Preußler - Es ist die Geschichte eines jungen Menschen, der sich mit finsteren Mächten einlässt, von denen er fasziniert ist, bis er erkennt, worauf er sich da eingelassen hat. - die oben zitiert ist, spielt auf die pädagogische Intention einer Initiation an. Jugendliche, die in den Kriegerstand indo-europäischer Kulturen integriert wurden, führte ihre Initiation vom Undifferenzierten zum Reflektierten, vom Umgang mit aggressiven und destruktiven Affekten, die zum Wohl jeder Gemeinschaft, ob nun als Krieger oder als Mann, sublimiert werden müssen, damit diese Bestand hat.

Doch zurück zu Krabat. Orfried Preußlers Jugendbuch ist nur eine literarische Version dieser sorbischen Sage, allerdings die bekannteste einer Gruppe literarischer Bearbeitungen dieses Sagenstoffs mit einer bemerkenswerten Reihe unterschiedlicher Variationen, die sich alle demselben Thema widmen: der Versuchung durch Manipulation und Machtmissbrauch zu herrschen. Preußler schrieb mit Unterbrechungen jahrelang an dem Roman vom óðinnischen Müller, der Schüler ausbildet, sie eigennützig opfert und magische Manipulationen vornimmt. Als Vorlage diente ihm nicht nur die sorbische Überlieferung von dem unheimlichen Müller. Bereits 1954 veröffentlichte Měrćin Nowak-Njechorński den Roman Mišter Krabat, der dieses Thema zum ersten Mal im 20. Jahrhundert für ein breites Publikum in sorbischer Sprache behandelte, das auch einer deutschen Übersetzung, Meister Krabat, der gute sorbische Zauberer, vorliegt. Interessant besonders die Verschiebung der Perspektive, die aus Krabat den Meister macht, nicht den jugendlichen Lehrling oder Gesellen und diesen in die Nähe des Schwarzen Müllers rückt. 1968 variiert das Jugendbuch Čorny młyn des sorbischen Schriftstellers Jurij Brězan die Version von Nowak-Njechorński nur geringfügig, das als Die schwarze Mühle ins Deutsche übersetzt wurde. In seiner neuen Krabat-Erzählung richtet Brězan den Fokus seiner Bearbeitung ganz auf eine These: Wissen ist Macht und Macht macht frei. Jahre später, 1976, veröffentlicht Brězan seinen zweiten, diesmal fiktiven Roman Krabat, die von der sorbischen Sage nur noch inspirierte Erzählung Krabat oder die Verwandlung der Welt, der ebenfalls in sorbischer und deutscher Sprache erscheint: Der sorbische Biologe Jan Serbin bringt es mit seinen Forschungen zur Genetik zu Weltruhm und erhält für seine Methode, Menschen genetisch so zu verändern, dass sie negative Verhaltensweisen wie Gier und Selbstsucht bis hin zur Bereitschaft zum Führen von Kriegen verlieren, schließlich den Nobelpreis. In seiner Manie, mit genetischen Methoden eine bessere und friedliche Welt zu schaffen, identifiziert sich Serbin mit Krabat. Die fantastischen Motive der Sage vermischen sich mehr und mehr mit seiner wissenschaftlichen Realität, Raum und Zeit des Plots wechseln ständig zwischen realem und fiktionalem Erleben und Handeln des Protagonisten. Die hybride Persönlichkeit Serbin-Krabat reist auf wissenschaftlicher Mission durch Europa, wandert wie Peter Schlemihl, nur begleitet von seinem Famulus Jakub Kuschk, durch die Lande, bekämpft auf der Suche nach dem Glücksland und seiner verlorenen Liebe seinen Antagonisten, den Grafen Wolf Reissenberg, der den bösen Müller verkörpert. Ein fantastischer, wissenschafts- und sozialkritischer Roman von der Machbarkeit des Möglichen, von der engen Verwandtschaft von Wissenschaft und Magie, der Rechtfertigung der Mittel für jeden Zweck sowie den damit verbundenen ethischen Fragestellungen. Wie sooft entsteht wissenschaftliche Forschung, insbesondere die naturwissenschaftliche, aus Magie und mündet Magie in Wissenschaft. Kunst ist immer das Medium, in dem sich beide spiegeln.

Der Film entdeckte das lukrative, von der Literatur breit gefächerte und gut etablierte Sujet bereits 1975 mit dem DEFA-Film Die schwarze Mühle. Nach Preußlers Buch schuf der tschechische Trickfilmer Karel Zeman 1977 seinen hochgelobten Film Čarodějův učeň, Der Zauberlehrling. 1977 und 2008 erschienen zwei weitere Krabat-Filme. Besonders die aktuellste filmische Version dieser Sage, inszeniert von Marco Kreuzpaintner, mit Otto Sander als Erzähler, fand eine weite Verbreitung auf der bundesdeutschen Kinoleinwand. Wie immer bei literarischen Verfilmungen erfuhr Kreuzpaintners Film ein vielschichtiges Echo. Während es Otfried Preußler gelang, in dem Film seinen Protagonisten wiederzuerkennen, konnte der Rezensent der FAZ der Verfilmung nichts Gutes abgewinnen. Er kritisierte die mangelnde psychologische Dichte und Komplexität der Charaktere der Buchvorlage. Das Lexikon des Internationalen Films sowie die Filmbewertungsstelle Wiesbaden sprechen von einem Meisterwerk, das die düsteren Züge von Nosferatus Grauen thematisiert, von starkem ästhetischen Willen geprägt ist und ein bedrückendes Abbild gesellschaftlicher Verhältnisse zeigt, in denen sich die Menschlichkeit gegen die Versuchungen dunkler Mächte behaupten muss. Ein allzu großes Lob, wie ich finde, für einen Film, der nicht wirklich Neues zum Thema beträgt. Was Kreutzpeinter allerdings glückt, ist die visuelle Verkörperung des Müllers als Óðinn-Wodan-Gestalt, ein dämonischer Protagonist in schwarzer Robe mit Augenklappe, der umweglos an das mythische Vorbild erinnert.

Der ahungslose Wanderer auf der Via Regia ahnt von diesen Zusammenhängen nichts, und geht achtlos an den Geschichten, die in der Landschaft verborgen sind, vorüber. Er kommt an vielen golden bemalten Wegkreuzen vorbei, die hell in der Sonne glänzen, und an farbig bunten Bildsäulen, und macht sich leicht ein anderes Bild von den religiösen Vorstellungen der Oberlausitz.

Solche Artefakte einer religiös verorteten Landschaft finden sich in der Oberlausitz allerorten; weithin sichtbare, geschmückte Kruzifixe oder säulenartige Standbilder. Am Sockel der Kreuze erzählen vergoldete Szenen aus dem Neuen Testament. Farbig gestaltete Bildsäulen, häufig mit einem Heiligen, der hoch oben auf der Säule thront. Diese Säulen erinnern an Stiftungen für eine Rettung aus höchster Not. Alle Kreuze und Bildsäulen stammen aus dem 19. Jahrhundert, befinden sich aber in gepflegtem Zustand, was auf die anhaltende Verehrung hinweist, die sie genießen. Mich erinnern sie an die Bilderstöckchen des Aachen-Kölner-Raums, die dort überall an den Wegen, an Kreuzungen und Feldrainen standen als ich ein Kind war. Magischer Schutzzauber im katholischen Gewand. Manchmal bedauere ich es, dass der Protestantismus dem Katholizismus das Geheimnisvolle der in den Raum ergossenen Atmosphären ausgetrieben hat, die die lateinische Liturgie meiner Kindheit noch kannte. An der Fassade einer neugotischen Herz-Jesu-Kirche strecken geflügelte Dämonenhunde ihren Kopf aus dem Gemäuer und fauchen die Vorübergehenden an. Apotropäische Symbole, die das Böse mit seiner eigenen Hässlichkeit erschrecken, um dem Schutz des sakralen Raums zu sichern. Aus ihrem Rachen töpfelt nur noch Regenwasser.

Ein Land ist nicht nur eine Landschaft, es ist auch seine Geschichte. Wenn die alten Namen verschwinden, gehen die Geschichten mit ihnen verloren. Und mit den Erzählungen und Überlieferungen, die eine Landschaft charakterisieren, die mit den Hügeln, Gewässern und Tälern verbunden sind, verändern sich die Atmosphären, die die Menschen inspirieren. Geschichte ist nicht nur eine Erzählung, die Menschen erdacht haben, sondern etwas, das stark mit der Landschaft, mit dem Land, verbunden ist. Die neuen Namen, die neuen Erzählungen, rufen keine Erinnerung mehr an die Vergangenheit einer Landschaft wach. Sie verändern, um nicht zu sagen, sie gefähren die kulturelle Identität. Erfahrung, meint Aldous Huxley, ist nicht das, was einem zustößt, sondern das, was man daraus macht, was einem zustößt.
Die Sorben zwischen Bauzten und Kamenz sind ihren Traditionen verbunden geblieben. Fundamentalistisch und strenggläubig katholisch haben sie diese gegen alle ideologischen Anfechtungen und politischen Unterdrückungen beharrlich verteidigt. Ihr Katholizismus ist getragen von einer eigenen, slawischen Sprache, ihren Überlieferungen und vitalen Trachten, insgesamt kulturelle Elemente, die ihre katholische Frömmigkeit fest im Alltag verankern. Eines dieser Elemente isoliert zu betrachten, ist für sorbische Traditionalisten überhaupt nicht vorstellbar. Es handelt sich nicht um verschiedene Phänomene, sondern um eine Einheit in der Vielfalt. Der innige Zusammenhang von Sprache, Tracht und Religion, als Brennpunkt und Marker ihrer ethnischen Identität, hat das Überleben dieser Minderheit, durch ständige Anfeindungen hindurch, zuletzt auch durch das System der DDR, überlebt. Aktuell, so höre ich in den Dörfern immer wieder, erlebt das Sorbische in der Oberlausitz eine Renaissance. Selbst nicht-sorbische Eltern fördern ihre Kinder bilingual.


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