Ich wünschte, ich wäre ein Baum! Stark verwurzelt in der Erde, streckt er sich dem Himmel entgegen. Doch ich bin kein Baum, deshalb kann ich nicht bleiben.
Fußreisen, einfaches Gehen, Schritt für Schritt, bietet viele Vorteile für Geist und Körper. Ein alter Terminus hat in der modernen Reiseliteratur wieder Fuß gefasst: Solvitur ambulando: Es löst sich durch Gehen, schlug der Heilige Augustinus für ein Gedankenexperiments des Zenon von Elea vor. Platon und seine Schule lehrten einen objektiven Zeitbegriff, Für sie war die Zeit die Bewegung von Himmelskörpern, die Vollendung eines Tages, die Bewegung von Sonnenaufgang bis Sonnenuntergang. Der Vorsokratiker Zenon beschäftigte sich insbesondere mit dem Verhältnis von Raum, Zeit und Bewegung. Mit seinem Konzept der unendlichen Teilbarkeit von Raum und Zeit wollte er beweisen, dass wir nie an ein Ziel ankommen. Sein bekanntestes Paradoxon, der Trugschluss von Achilles und der Schildkröte, behauptet, dass ein schneller Läufer einen langsamen Läufer nicht überholen kann, sofern er jenem einen Vorsprung gewährt. Diogenes von Sinope, Skeptiker und der Bedürfnislosigkeit des Kynismus verschrieben, war vielleicht der Erste, der Zenons Behauptung, Bewegung sei nicht real, widersprach, indem er aufstand und herumging und so einen Zusammenhang zwischen Bewegung und Zeit demonstrierte. Von einem Ziel ist nirgendwo die Rede.
In seinem Essay What the Tortoise Said to Achilles testet Lewis Caroll, dem wir die herrlich absurde Erzählung von Alice und den Wunderland verdanken, Zenons Paradoxon über die Bewegung. Wie gut ist es doch, dass Alice ein Kinderbuch geblieben ist, und seine Message nicht irgendeinem erwachsen gewordenen Zensor aufgefallen ist. Ob Alice es tut, weiß ich nicht. Achilles jedenfalls verwendet das solvitur ambulando gegenüber der Schildkröte. Er will beweisen, dass er sie trotz des Vorsprungs erfolgreich überholen kann:
Achill hatte die Schildkröte überholt und es sich auf ihrem Rücken bequem gemacht. „Du bist also am Ende unseres Wettlaufs angelangt?“, sagte die Schildkröte. „Obwohl er wirklich aus einer unendlichen Reihe von Teilstrecken besteht? Ich dachte, irgend so ein Neunmalklug habe bewiesen, dass das nicht vollbracht werden kann?“ „Es kann vollbracht werden.“ sagte Achill. „Es ist vollbracht worden! Solvitur ambulando. Weißt du, die Teilstrecken wurden immer kleiner: und so – “
Aber bevor Achilles die Schildkröte überholen kann, muss er zuerst ihren Vorsprung einholen.
In der Zeit, die er dafür benötigt, hat die Schildkröte aber einen neuen, wenn auch kleineren
Vorsprung gewonnen, den Achilles ebenfalls erst einholen muss – und so weiter. Der
Vorsprung, den die Schildkröte hat, werde zwar immer kleiner, bleibe aber dennoch immer ein
Vorsprung, sodass sich der schnellere Läufer der Schildkröte zwar immer weiter nähert, sie
aber niemals einholen und somit auch nicht überholen könne. Dass Zenon hier irrt, liegt auf der
Hand, denn ein Schnellerer wird einen Langsameren immer überholen. Und ein Klügerer
ohnehin, wie der Igel dem Hasen bewies. Der Schlüssel des Rätsels liegt in der zur Verfügung
stehenden Zeit, benutzt er nicht gleich die Methode es Igels, die fast ohne Zeit auskommt.
Für Augustinus, den Urheber des vielzitierten solvitur ambulando, ist Zeit real und keine rein
subjektiv empfundene Ich-Zeit. Wenn sich ein Körper bewegt, argumentiert er, können wir
messen, wie lange er sich bewegt, und zwar vom Anfang bis zum Ende seiner Bewegung. Ein
Körper bewegt sich nur in der Zeit, er stellt diese selbst nicht dar. Und auch wenn ein Körper
sich nicht bewegt, sind wir doch in der Lage seinen Stillstand zu messen und etwas über die
Dauer seines Stillstandes auszusagen. Aus diesem Grund kann Bewegung nicht gleich Zeit sein. Daher auch sein Rat: Im Gehen findet sich die Lösung! Was ja schon Diogenes demonstrierte. Kassiopeia, eine andere Schildkröte, kommt
schneller voran, je langsamer sie geht. Hintergründig stellt Michael Ende in seinem Roman
Momo Zenons Paradoxon auf den Kopf und hinterfragt gleichzeitig die nur spontan
überzeugende Lösung des Augustinus.
Henry David Thoreau, dessen 1854 publizierter Text Walden – oder Leben in den Wäldern
unvergessen ist, zitiert Augustinus Bonmot in seinem Essay Walking (1851-1860). Auch in
Walden, dem Klassiker aller alternativen, sozialpolitischen Bewegungen, finden sich solche
Überzeugungen: Das eine wenigstens lernte ich bei meinem Experiment: Wenn jemand
vertrauensvoll in der Richtung seiner Träume vorwärts schreitet und danach strebt, das Leben,
das er sich einbildete, zu leben, so wird er Erfolge haben, von denen er sich in gewöhnlichen
Stunden nichts träumen ließ. Er wird mancherlei hinter sich lassen, wird eine unsichtbare
Grenze überschreiten. Neue, allgemeine und freiere Gesetze werden sich um ihn und in ihm
bilden oder die alten werden ausgedehnt und zu seinen Gunsten in freierem Sinne ausgelegt
werden.“
Nicht weniger berühmt und verbreitet ist Bruce Chatwins Klassiker The Songlines von 1986.
Der Autor glaubte leidenschaftlich daran, dass Fußreisen ein überlegenes Heilmittel für jede
geistige Mühsal sind. Bruce Chatwin, so überliefert sein Biograph Nicholas Shakespeare, hörte
von solvitur ambulando das erste Mal von Patrick Leigh Fermor, einem anderen Guru des Fußreisens. Chatwin soll sich diesen Begriff sofort in sein legendäres Moleskine notiert haben. P.
Leigh Fermor reüssierte 1977 mit einem Reisebericht über eine Fußreise von London nach
Istanbul in den Jahren 1933-1935, die er in den Jahrzehnten danach in drei Bänden
veröffentlichte. Das solvitur ambulando des Augustinus wurde Fermors Leitmotiv, und seine Reiseerzählungen legen Zeugnis ab, was er zu lösen unterwegs war.
Es gibt viele Theorien über das Gehen, und verschiedene Autoren verfolgen dabei
unterschiedliche Ziele. Für Jean Jaques Rousseau, so ist überliefert, reinigte das Gehen den
Geist und machte ihn frei für neue Gedanken. Das Ziel des Gehens, stimmt ihm Thomas
Jefferson zu, ist es, den Geist zu entspannen. Beim Gehen lassen Konzentration und Gedanken
nach, die Aufmerksamkeit richtet sich auf die Gegenstände und Erlebnisse am Weg. Auch für
Friedrich Nietzsche gehörten Gehen und Denken zusammen, da die Entspannung des Denkens
neue Gedanken fördert. Dass dieser geistige Zustand die Inspiration fördert, ist bekannt. Nicht nur Ernest
Hemingway behauptete von sich, die besten Einfälle beim Gehen zu bekommen. Und Sören Kiergegaard schreibt an seine Schwester, dass es noch keine Trübsal gegeben hat, die er sich nicht weggegangen ist.
Martin Heidegger ging täglich den gleichen Weg in Todtnauberg im Hochschwarzwald, um
sein Denken anzuregen. Diesen Weg kann heute jeder gehen, denn er ist seit 2002 als Martin-Heidegger-Rundweg ausgezeichnet. Sein Sohn Hermann erinnert sich an seinen Vater: Es ist
das Hören auf die innere Stimme, die in dieser unberührten Landschaft und in dieser Stille
möglich war. Mein Vater sagte einmal zu mir: Es denkt aus mir. Ulrich Grober erläutert in
seiner Kulturgeschichte des Wanderns, dass für Heidegger wohnen und wandern komplementär
– zwei sich ergänzende Weisen in der Welt zu sein sind. In Heideggers Hebel, der Hausfreund bezieht er selbst dazu Stellung: Denken wir das Zeitwort wohnen weit und wesentlich genug, dann nennt es
uns die Weise, nach der die Menschen auf der Erde unter dem Himmel die Wanderung von der
Geburt bis in den Tod vollbringen. Diese Wanderung ist vielgestaltig und reich an Wandlungen.
Überall bleibt jedoch die Wanderung der Hauptzug des Wohnens als des menschlichen Aufenthaltes zwischen Erde und Himmel, zwischen Geburt und Tod, zwischen Freude und
Schmerz, zwischen Werk und Wort, wobei mit Werk das Gehen und mit Wort das Denken
gemeint ist. Vielleicht hat Bruce Chatwin Heidegger gelesen. Sein Herzenswunsch war es
nämlich, eine Theorie der nomadischen Alternative zu entwickeln, mit der er die Herkunft der
menschlichen Wanderlust erklären wollte. Den Fokus seiner Untersuchung legte Chatwin auf
die Frage, ob das Wandern, der Drang zu reisen, genetisch oder kulturabhängig sei. In Der
Traum des Ruhelosen gibt er eine vorläufige Antwort, denn sein Nomaden-Buch blieb
unvollendet: Die Hypothese war ungefähr wie folgt: In dem er zum Menschen wurde, hatte der
Mensch, zugleich mit den geraden Beinen und dem ausschreitenden Gang, einen Wandertrieb
erworben, den Instinkt, lange Entfernungen während der verschiedenen Jahreszeiten
zurückzulegen; dieser (Trieb) war untrennbar mit seinem zentralen Nervensystem verbunden;
und wenn er in Zeiten der Sesshaftigkeit denaturiert wurde, suchte er sich ein Ventil in
Gewalttätigkeit, Gier, in der Suche nach einem bestimmten Status oder in einer Sucht nach
allem, was neu war. Er präzisierte seine Auffassung in einem Brief an seinen Verleger Tom
Maschler mit einer persönlichen Stellungnahme: Das Wandern mag meine natürliche Neugier
und meinen Forscherdrang teilweise befriedigen, doch dann werde ich von Heimweh nach
Hause zurückgetrieben. Ich habe den Drang zu wandern und den Drang zurückzukehren – ein
Heimkehrvermögen wie ein Zugvogel. Wahre Nomaden haben kein eigentliches Zuhause; sie
kompensieren diesen Umstand, indem sie den ewig gleichen Wanderwegen folgen. So muss es
Heidegger empfunden haben, wenn er auf seinem Wanderweg im Schwarzwald nomadisierte
und das Gehen für die Intensivierung seines Denkens nutzte. Mit Joseph Beuys Performancekunst will ich in diesem Zusammenhang erst gar nicht beginnen.
Die Beziehung zwischen Gehen und Denken beschäftigt auch die naturwissenschaftliche Forschung: Gehen erhöht die kognitive Leistung. Das Gehirn ist gezwungen, die neue Umgebung zu verarbeiten und bildet dabei neue neuronale Netzwerke aus: die Gedächtniskarten, über die Robert Mcfarlane in seinem Buch Karte der Wildnis spricht. Kreativität wird gefördert, neue Impulse entstehen. Psychiater empfehlen seit langem das Gehen in der Natur bei leichten und mittelschweren Depressionen. Psychotherapeuten gehen mit ihren Patienten spazieren, da das Gehen die psychische Dynamik lockert. Wer in der Umgebung von Parks oder am Waldrand lebt, ist weniger anfällig für Angststörungen und Depressionen. Spaziergänge ersetzen ein Wohnen im Grünen unter Bäumen. 1982 regte die staatliche japanische Forstbehörde Ausflüge in den Wald als Bestandteil eines guten Lebensstils an. Shinrinyoku, Baden in der Waldluft, wirkt wie eine Aromatherapie. Das Einatmen der ätherischen Öle, die die Bäume in die Luft abgeben, fördert die Gesundheit, reduziert Stress und Wut, Angststörungen und Depressionen, und steigert die Vitalität. Seit 2012 existieren an japanischen Universitäten eigene Forschungszweige. Das Waldbaden, geführte Spaziergänge im Wald, wird besonders Großstädtern empfohlen, damit sich ihre gestörte Balance von Körper und Psyche wieder herstellt. Auch Innenarchitekten und Stadtplaner nutzen diese Überlegungen in ihren Konzepten schon seit langem. Grünflächen und Baumbestand in den Städten senken langfristig die Gesundheitskosten einer Gesellschaft.
Am 11. Januar 1862 schrieb H.D. Thoreau in sein Tagebuch: Manchmal leben wir zu hastig –
ja, sinnlos und grob – wenn wir uns etwa dabei ertappen, wie wir unsere Mahlzeit
herunterschlingen. In einem gewissen Sinn können wir gar nicht langsam genug leben. Ich
möchte nicht so leben, als hätte ich wenig Zeit. Halten wir Schritt mit den Jahreszeiten. Haben
wir Muße, auf jede Erscheinung der Natur zu achten und jedem Gedanken, der uns kommt,
nachzugehen. Das Leben soll ein gemächliches Voranschreiten sein durch das Königreich der
Natur, selbst ihrer hintersten Winkel
Zenons Paradoxon lässt sich nicht durch Gehen lösen, wohl aber eine Reihe anderer
Widersprüche und Probleme. Unsere Kultur hat sich im 21. Jahrhundert immer weiter von der
ursprünglichen Fortbewegung des Homo sapiens, zu Fuß zu gehen, entfremdet. Ein Homo
viator, ein wandernder Mensch, sind wir schon lange nicht mehr. Die Nachteile der
Fortbewegung mit mechanischen Geräten wird mittlerweile nicht nur in der Medizin diskutiert. Bewegungsmangel führt zu muskulären und Gelenkbeschwerden, zu Kreislaufschwäche,
Übergewicht und Erschöpfung sowie zum viel bemühten Burnout-Syndrom. Auf psychische
Störungen folgt der Verlust von Kreativität und Wertorientierung. Es geht mehr denn je um
eine entschleunigte Lebensweise, um einen nachhaltigen Umgang mit uns und der Natur, um
der Menschheit eine Zukunft zu ermöglichen. Bewusst zu gehen, sich langsam und achtsam zu
bewegen, ist eine gute Übung für die Lösung der bevorstehenden Aufgaben und
Herausforderungen. So verstanden macht des augusteische solvitur ambulando auf eine neue
Weise Sinn.
Gehen öffnet! Einen Weg zu Fuß zu gehen verbindet uns auf eine ganz unmittelbare Weise mit
der uns umgebenden Landschaft: mit dem Raum, der Landschaft, mit deren Klima, Flora und
Fauna, sowie mit der Zeit des Gehens, die als verstreichende Dauer subjektiv gedehnt und nicht
messbar erlebt wird. Sich für eine Weile unmittelbar in den umgebenden Raum einzubinden,
und dies auch bewusst zu spüren, verändert die Perspektive des Erlebten, Wissen über sich
selbst und seine Umgebung zu sammeln, Erinnerungen aus den abgelagerten Sedimenten der
Psyche herauszulösen. Fußreisen sind mit nichts zu vergleichen!
Der eigene Schatten ist mein verlässlichster Begleiter auf allen Wanderungen geworden. Selbst
wenn die Sonne nicht scheint, ist er anwesend, wenn ich ihn auch nicht sehe. Doch bereits der
nächste Sonnenstrahl bezeugt seine ständige Anwesenheit. Der Schatten ist das wahre Selbstporträt des
Pilgers, über den er nicht so leichtsinnig wie Peter Schlemihl verfügen sollte. Ich sehe, wie
mein Schatten vor mir herläuft, mich umkreist und hinter mir zurückbleibt, wenn es Abend
wird. Vielleicht ziehe ich ihn dann wie einen Sack hinter mir, mit all den unerwünschten
Persönlichkeitsanteilen, die ich im Laufe meines Lebens hineingepackt habe. Ich sollte sie
hinter mir zurückzulassen, doch der Sack klebt an mir. Peter Schlemihl, der Wanderer mit den
Siebenmeilenstiefeln, hat ihn dem Teufel verkauft. So mutig bin ich nicht.
Warum überhaupt Fußreisen? Ich finde, Itchycoo Park von den Small Faces gibt eine gute
Antwort:
Over Bridge of Sighs [Urbanität]
To rest my eyes in shades of green [Landschaft]
Under dreaming spires
To Itchycoo Park, that's where I've been
What did you do there? I got high
What did you feel there? Well, I cried
But why the tears there? Tell you why
It's all too beautiful
Diese Frage stellt sich heute anders, doch die Antwort, die Steve Marriott gibt, ist
unübertroffen: It´s all too beautiful! Inzwischen ist die Situation viel komplexer geworden.
Viele haben in den späten sechziger Jahren des gerade vergangenen Jahrhunderts daran
geglaubt, die Schönheit der Welt und das Geschenk des Lebens zu verbessern und zu bewahren.
Nach dem vermeintlichen Sturz unmittelbarer Autoritäten, und der unvollständig geglückten
Befreiung der Sexualität von Schuld und Zwang, gelangten sie zu einem verbesserten
ökologischen Bewusstsein. Die Beziehungen zwischen Mann und Frau sind allerdings auf viele Weise katastrophal geblieben.
Die Gaia-Hypothese, formuliert von der Mikrobiologin Lynn Margulis und dem Chemiker,
Biophysiker und Mediziner James Lovelock, basiert auf einem systemtheoretischen Ansatz
ökologischer Verhältnisse. Die beiden Wissenschaftler benannten ihre Theorie nach Gaia, der
Erde, der Gottheit in der griechischen Mythologie, aus der alles hervorging. Die Vorstellung
von einer weiblichen, fruchtbaren und gebärenden Erde ist nicht nur den alten Griechen
vertraut. Erst die monotheistischen Kulturen haben den alten Mann mit weißem Bart zum Herrn
der Welt erklärt. Doch der verfolgt andere Interessen als eine Göttin, inspiriert Kulturen mit
Feuer und Schwert. Die Gaia-Hypothese betrachtet die Erde als ein Lebewesen. Ihre Biosphäre,
die Gesamtheit aller Organismen mit der Fähigkeit zur Selbstorganisation, schafft und erhält
die Bedingungen und ermöglicht die Evolution komplexerer Organismen. Diese Organismen
bilden ein offenes und entropie-produzierendes System, das sich selbstorganisierend an seine
Umgebung anpasst. Die Erdoberfläche ist ein dynamisches System, das sensibel auf
menschliche Einflüsse reagiert.
Durch die Ökologiebewegung und das philosophisch-spirituelle Konzept des New Age fand die
Gaia-Hypothese viele Anhänger. In diesem Kontext fasst man die Erde gelegentlich als einen
beseelten Organismus auf, personifiziert sie nach dem Vorbild der Erdgöttin der Griechen, die auf eine Beeinflussung durch menschliche Aktivitäten positiv oder negativ reagiert. Man spricht metaphorisch bereits vom Virus Mensch, der seinen Wirt, natürlich muss es heißen Wirtin, tötet. Wenn diese
Überzeugung auch einem magischen Denken und animistischen Überzeugungen entspringt,
besitzt sie doch einen großen pädagogischen und ethischen Wert, solange nicht vergessen wird,
dass es sich um eine metaphorische Repräsentation handelt. Die Vorstellung, die Erde, ähnlich
wie in der griechischen Antike, als eine Persönlichkeit mit psychischen Fähigkeiten
aufzufassen, führt zu einem anderen Verständnis und zu einem anderen Umgang mit unserer
natürlichen Umwelt. Was die gegenwärtig vor allem klimatischen Veränderungen unserer
Umwelt bewirken, die Erde reagiert anscheinend doch auf den menschlichen Umgang mit ihr. Inzwischen ist
unzweifelhaft, dass der seit Jahrzehnten beschworene Klimawandel begonnen hat. Die Begründer der Gaia-Hypothese bieten eine optimistische Ökologie an, deren Fazit James Lovelock etwas
unglücklich formuliert: Wenn ich von einem lebendigen Planeten spreche, soll das keinen
animistischen Beiklang haben; ich denke nicht an eine empfindungsfähige Erde oder an Steine,
die sich nach eigenem Willen und eigener Zielsetzung bewegen. Ich denke mir alles, was die
Erde tun mag, etwa die Klimasteuerung, als automatisch, nicht als Willensakt; vor allem denke
ich mir nichts davon als außerhalb der strengen Grenzen der Naturwissenschaften ablaufend.
Ich achte die Haltung derer, die Trost in der Kirche finden und ihre Gebete sprechen, zugleich
aber einräumen, dass die Logik allein keine überzeugenden Gründe für den Glauben an Gott
liefert. In gleicher Weise achte ich die Haltung jener, die Trost in der Natur finden und ihre
Gebete vielleicht zu Gaia sprechen möchten. Diese Argumentation grenzt an die entzauberte
Auffassung der Natur, wie sie im Westen seit der Renaissance üblich geworden ist, und zuerst
von den Romantikern bedauert wurde. Obwohl er naturwissenschaftlich und physikalisch
argumentiert, schließt er eine metaphysische Perspektive nicht aus. Anstatt sie dogmatisch in
sein Modell einzubauen, überlässt er es jedem Einzelnen sein Modell mit Leben und Bedeutung
zu füllen. Welchen Unterschied macht es für die Menschen, ob das Ökosystem Erde automatisch oder
intentional reagiert? Diese Perspektive führt lediglich zu einer Bewertung, das Resultat wird
davon nicht beeinflusst. Ich frage mich allerdings auch, welchen Unterschied es für mein Leben
macht, an wen ich glaube oder zu wem ich bete. Entscheidend ist die Haltung zu meiner Umgebung, materiell und personell, in der ich glaube und bete. Seit Gaia in den siebziger Jahren
des letzten Jahrtausends die Welt neu erblickte, sind fast fünfzig Jahre vergangen, in denen
Überbevölkerung, Klimawandel und exzessiver Ressourcenverbrauch in damals
unvorstellbarer Weise vorangeschritten sind. Steve Marriots it´s all too beautiful, das jenseits
der eigenen Seufzerbrücke liegt, bedeutet mittlerweile etwas völlig anderes.
Es gibt nur zwei Motive, die mich drängen, auf Fußreisen zu gehen. Ich bin mir nicht einmal sicher, ob ich letztlich nicht nur aus einem einzigen Grund aufgebrochen bin: um mein Drittes Alter vorzubereiten, neue Erfahrungen mit mir zu machen und diese in mein Leben zu integrieren! Ich habe begonnen, meine Erlebnisse, Gefühle und Gedanken aufzuschreiben, um mir meine Fußreisen und die eigenartigen Umstände, die dazu führen, mir selbst nachvollziehbarer zu machen. Es ist mir wichtig geworden, die Atmosphäre des in unmittelbarer Anschauung Er-Reisten und Er-Fahrenen konkreter fassbar zu machen. Doch der Grat zwischen Reiseerzählung, subjektivem Betroffensein und persönlicher Biographie ist schmal und labyrinthisch verschlungen. Ich will nichts beschreiben, sondern meine Wanderungen schreibend noch einmal gehen. Ich erzähle davon, was für jeden erlebbar ist, der sich in seiner sozialen Rolle und Lebenswelt nicht zuhause fühlt, weil sich Leben nicht mehr richtig anfühlt oder verändert hat. So verstanden, können Fußreisen auch zurück nach Hause führen.
Pilgern ist eine sehr alte, inzwischen wieder moderne spirituelle Praxis, die die Institution
Kirche bereits im Mittelalter für ihre Zwecke instrumentalisiert hat. Noch bevor die katholische
Konfession, die nur noch Spuren des egalitären Urchristentums bewahrt hat, das Pilgern für
ihre Zwecke entdeckte, handelte es sich um eine mystische Erfahrung der Volksfrömmigkeit,
eine Bewegung, eine Anti-Struktur, die parallel zur offiziellen Struktur von Konfessionen
verlief und deren Merkmale Communitas, Bedürfnis- und Hierarchielosigkeit waren, wie sie
Bettelmönche, einst der Orden der Franziskaner und buddhistische Mönche noch immer,
praktizieren. Die islamische Pilgerreise nach Mekka, die Haddsch, war nicht immer ein
pauschal-touristisches Unternehmen, das die Gläubigen in Millionen in Flugzeugladungen auf der
arabischen Halbinsel ablud. In seinem Bericht über eine Pilgerreise zum Berg Kailash in Tibet
überlässt sich der deutschstämmige Pilger Lama Anagarika Govinda, auf der Suche nach
mystischen Erfahrungen, wie eine weiße Sommerwolke dem größeren Strom des Lebens, der
aus der Tiefe seines Wesens aufwallt und ihn über ferne Horizonte zu einem seinen Blick noch
verborgenen, aber stets gegenwärtigen Ziel führt. Dieses mystische, der Gegenwart
verpflichtete Ziel hat nicht wirklich einen Ort im Leben, zu dem gepilgert werden kann. Ziel-Orte sind nur vordergründig bedeutsam, eher Symbol einer Vision von etwas sehr
Persönlichem, das nur im Inneren des Pilgers existiert. Die katholische Doktrin hat diese
individuelle Vision zu einem allgemeingültigen Weg in einen jenseitigen Himmel verfälscht
und propagiert, bis Luther das mittlerweile ablassorientierte, sinnentleerte Pilgern berechtigt als
unnütz verurteilte und schließlich ganz verbot. Doch das Pilgern hatte schon immer eine größere
Nähe zur persönlichen Suche nach spirituellen Erfahrungen als zu den Strukturen einer
übergeordneten Konfession mit ihren Regeln, Rollenzuschreibungen und Zwängen. Pilgern ist
losgelöst von institutionalisierten Führungsansprüchen: ahierarchisch und antistrukturell. Nach
langem Umweg über monotheistische Zwänge finden Menschen zu spirituellen Bezauberungen zurück, finden das Göttliche in den Erscheinungen der Natur. Auf dem Weg des leiblichen
Spürens, dem Glück und Frieden ebenso wie den Herausforderungen und Entbehrungen des Wegs, vergisst der Geist die
Verzweiflung, in die ihn die Vorherrschaft des Materiellen gestürzt hat: die Vorherrschaft der
Wissenschaft über den Glauben, die Vorherrschaft des Verstandes über das Gefühl.
Es gibt immer wieder Situationen, in denen man nicht weiß, wie ein Bedürfnis entsteht, woher
der drängende Impuls etwas zu tun, plötzlich auftaucht. Der Gedanke zu Fuß zu gehen muss
ganz im Geheimen, von mir unbemerkt geblieben, konkrete Gestalt angenommen haben. Bevor
mir das Bedürfnis bewusst wurde, war ich emotional schon längst darauf eingestimmt. Es
besetzte meine Gedanken und Gefühle wie ein Freibeuter aus dem Inneren meiner Seele. Bevor
ich seine Konsequenzen verstand, ich mir den Wunsch eingestehen und den Gedanken zulassen
konnte, hatte etwas in mir bereits die Entscheidung getroffen. Fügung? Intuition? Der
mysteriöse Ruf, der so gerne bemüht wird, wenn es um Unerklärliches geht?
Noch eher die spontan kreative Tat, die handelt, bevor ein Plan festgeschrieben ist! Die
Gedanken hinken der Intuition hinterher, wenn es um notwendige Veränderungen geht, um
Unaufschiebbares. Am Ende meines Lebens war ich unbemerkt in die Liminalität gefallen, die
nun nach einer Antwort verlangte: Wie geht es weiter? Wie finde ich eine stimmige
Lebensphase seit ich mein Erwerbsleben hinter mir gelassen habe und mich unerwartet ein
weiteres Mal auf dem Weg wiederfinde? Seit ich weiß, dass ich zu Fuß gehen muss, dachte
ich an eine Pilgerfahrt, und an die ethnologische Theorie von Ritual und Lebenszyklus, an
Aufbruch, Übergang, an eine Communitas mit anderen, die mir verwandt sind, an bevorstehende
Wiedereingliederung und Neubeginn. Plötzlich hatten meine unbestimmten Gefühle eine
Richtung bekommen mit, der ich einverstanden war. Eine Fußreise erschien mir die richtige
Antwort auf meine psychische Befindlichkeit und soziale Situation zu sein.
Jede Pilgerfahrt findet zwischen zwei biographischen Polen statt: eine Zeit des Aufbruchs und
eine Zeit der Rückkehr. Dazwischen, in einer Zwischenwelt, ist der Pilger sich selbst
und anderen ein Fremder, ein Peregrinus. Dort wo er ist, ist er ein Ausländer, einer, der weit
weg von zu Hause ist, einer Welt gegenübersteht, der jegliche Vertrautheit fehlt. Unterwegs
werden mir Verlust, Loslassen sowie die Vergänglichkeit des Lebens immer am deutlichsten bewusst. Während ich weiter
gehe, verändert sich ständig alles um mich herum. Nichts bleibt, nichts kann ich festhalten, wie
es in den Phasen der Sesshaftigkeit zu sein scheint, in denen man hofft, das Erreichte habe
Bestand. Dass dies so scheint, verdankt der Mensch seiner Fähigkeit zur Verdrängung, ohne
die niemand leben kann. Wir müssen zuerst vergessen, damit wir in der Erinnerung wieder
erleben können, was an uns vorbei gegangen ist, was wir immer erst im Nachhinein verstehen.
Erinnerung ist eine Bewegung in der Zeit, die uns unser Leben schließlich bewusster macht.
Harold Fry hat dies erst verstanden, als er damit begann, die Entfernung nicht mehr in
Kilometern, sondern in Erinnerungen zu messen. Der Pilger ist der wahre Homo viator, ein
Wanderer, ein Eigenartiger, einer der in einer hypermobilisierten Welt wieder beginnt zu Fuß
zu gehen. Er ist alles andere als der einsame Kämpfer, der gegen den Strom schwimmt, kein
Aussteiger oder seltsamer, irgendwie übrig gebliebener Kauz, sondern einer, der
gemeinschaftlich mit vielen gegen die Trägheit und Gleichgültigkeit der Welt angeht. Er ist
einer, der aufrecht durch die Menge geht, die ihn verwundert, oft misstrauisch beäugt. Doch für ihn scheint die Möglichkeit einer Freiheit auf, wie am Morgen die Sonne, die hell über den
Horizont klettert. Deshalb bleibt er seinem Zuhause für Wochen oder Monate fern. Er ist einer,
der sich Verzicht und freiwilligen Prüfungen unterzieht. Pilgern ist Askese, und findet wie jede
Askese in der Liminalität des Zwischenraums statt.
Wer heute auf einen Pilgerweg geht, legt nur noch selten ein ostentatives Glaubensbekenntnis
ab, wie es für den mittelalterlichen Pilger selbstverständliche Pflicht und Zweck seiner Fußreise
war.
Wer heute auf einen Pilgerweg geht, unabhängig von Mode und Ziel, ist auf der Suche
nach persönlicher Spiritualität, dem Bedürfnis Zeit für sich selbst zu haben, für eine Weile mit
den Rhythmen und Techniken seiner durchstrukturierten Welt zu brechen. Die Hoffnung des
modernen Pilgers ist seiner Identität gewidmet, die obsolet geworden ist. Er bricht auf, um sich
zu reinigen, das Sterben seiner alten Rolle zu inszenieren und in einen neuen Status
hineingeboren zu werden. Wie dem mittelalterlichen Pilger geht es ihm um die Begegnung und
Konfrontation mit dem Heiligen, das er aber nicht in den äußeren Manifestationen einer
Konfession, sondern in der Natur, in der Begegnung und im eigenen Leib zu finden vermutet.
Am Ziel seiner Pilgerfahrt angekommen, wenn seine alte Identität gestorben ist, hofft, er
wiedergeboren zu werden. Diese Erfahrung macht nur derjenige, dem es gelingt, die
Bequemlichkeit und Sicherheit seines bisherigen Lebens hinter sich zu lassen.
Erst wenn der Pilger alle Gefahren vergessen hat, schreibt Lama Govinda, und sein eigenes Ich
ausgelöscht ist, erlebt er dieses Wunder, denn wie in einem Traum ist er eins geworden mit
seiner Vision. Er hat die Unerschütterlichkeit eines Menschen gewonnen, der weiß, dass ihm
nichts geschehen kann, als was ihm schon seit Ewigkeit zugehört. Diese Erfahrung kann nur der
nachvollziehen, der sich selbst auf den Weg macht. Sonst bleiben Govindas Worte leer. Nichts
an dieser Erfahrung ist künstlich oder übertriebener Euphorie geschuldet. Es ist so wie der Lama
sagt: Ich bin auf allen meinen Fußreisen zwischen den Strukturen meines Alltagslebens
gegangen. Wochenlang zu Fuß gehen bedeutet nicht mehr, aber auch nicht weniger, als
freiwillig eine Grenzerfahrung zuzulassen.
Beim Gehen durch die Landschaft, sei es in der Natur oder im urbanen Umfeld, reduziert sich
die Welt auf das Wesentliche. Das langsame Gehen verbrüdert sich mit der Umgebung,
synchronisiert die äußere Geographie mit meiner inneren Landschaft. Die Herausforderungen
auf dem Weg treffen mich mitten ins Herz, das bereits für Erfahrungen schlägt, von denen ich
zu Beginn einer Fußreise nichts ahne. Meine Wege führen mich mitten ins Offene, auf
Entdeckungen und Ereignisse zu, die eher Unwahrscheinliches und nicht Vorhersehbares, als
Bekanntes und Vertrautes bereithalten.
Pilgern ist eine zutiefst leibliche Erfahrung, die sich nicht nur der Herausforderung
gegenübersieht, kontinuierlich die psychische Befindlichkeit zu regulieren, sondern
gleichzeitig Techniken der Leibbemeisterung entwickeln muss. Pilgern ist Yogapraxis im
Gehen, in dem Sinne, dass das fließend rhythmische Schritt-für-Schritt zugleich aktiv und
meditativ ist. Gehen im Rhythmus des Atmens. Gehen als meditative Praxis produziert Sinn,
besonders für denjenigen, der aus seinem alten Leben in eine vorübergehende Statuslosigkeit
geraten ist. Gehen ist ein Ritual, eine rauschhafte Phase der Biographie, eine Phase der Initiation im
Prozess des Lebenszyklus, die ein Pilger nutzt, um in einer schwierigen Lebenssituation neue
Stabilität und Klarheit zu gewinnen. Die Magie des Gehens speist sich nicht aus der Hoffnung, unterwegs zu einem Ziel, sondern in eine neue Existenz zu sein. Das Potenzial des Gehens
besteht in der Erkenntnis, dass der Weg den Pilger macht, ihm Herz und Blick öffnet und ihm
eine neue Perspektive schafft.
Fußreisen ermöglichen es, einen Blick in eine Welt zu werfen, die sich so archaisch anfühlt,
dass man meinen könnte, sie haben in einer modernen, globalisierten Gesellschaft keinen Platz
mehr. Trotzdem ist ein Bedürfnis entstanden, diese archaische Technik wieder zu beleben,
die Martin Luther vor mehr als fünfhundert Jahren zu Grabe getragen hat
„Und: Wozu war es gut,“ werde ich gefragt, „mit schmerzenden Füßen durch Wind und Wetter
zu laufen?“
„Sonne hat es auch gegeben,“ antworte ich fast trotzig, „und den Frieden der Landschaft, die
innere Harmonie und Ausgeglichenheit, die in der Natur entsteht, wenn ich mich ihr
wochenlang allein und vertrauensvoll überlasse. Die Gefühle und Gedanken, die mich begleitet
haben, bis sie zu einem neuen Jetzt zusammenwachsen. Die Gelassenheit, die sich erst
eingestellt, wenn ich lange genug losgelassen habe.“
Was suche ich unterwegs? In Brandenburg, Sachsen, Thüringen und im Baskenland, in Andalusien, der Extremadura, in Kantabrien, Asturien und schließlich im fernen Galicien. In noch mehr Landschaften, von denen ich vorher nicht einmal die Namen kannte, die über weite Strecken monoton und spröde sind, abweisend und leer, die mich aber auch mit Euphorie und Bewunderung gefüllt haben. In denen ich glücklich bin.
War das Haus des Apostels, Prototyp
und Urbild des Pilgers seit Jahrhunderten, mein Ziel? Ich glaube es nicht, auch wenn ich ihn
aufgesucht und umarmt habe. Eine Legende kann faszinieren und inspirieren, kann ein Modell
für den Anfang sein, aber sie kann niemandem Leben einhauchen, in dem das Feuer des Lebens
nicht schon längst zu brennen begonnen hat. Blicke ich zurück, erkenne ich, dass die
Erinnerungen in der oft erdrückenden Urbanität der Städte ungefragt wieder aufsteigen, zuerst
als Bilder, die sich dann zu Gedanken konkretisieren. Gehen befreit die Erinnerung!
Meine Reiseerzählungen sind äußerst subjektiv, meine Fußreisen unwiederholbare Originale.
Während des Lesens von Susanne Lasers Kein Hawaii habe ich mich immer wieder gefragt,
welchen Weg sie nach Tangermünde gegangen ist, so wenig habe ich von meinen Erfahrungen
und meinem Weg in ihrem Buch wiedergefunden. Für einen Leser sind meine Erfahrungen
kognitiv nachvollziehbar, aber nicht nachspürbar, und erst recht nicht nachzuerleben. Eine
andere Fußreise besitzt ihre eigene Originalität. Nichts ist wiederholbar, dafür verbürgen sich
Landschaft und Begegnungen.
Meine Reiseerzählungen sind Modelle für Mögliches. Sie sollen den Blick öffnen, achtsam zu
spüren, wie das Gehen und die Landschaft auf Gefühle und Gedanken wirken. Deshalb mache
ich mich zum Protagonisten meiner Reiseerzählungen. Jenseits von Reiseführern wird das Reisen
zu einer Beschäftigung mit sich selbst; auf fremden Pfaden in noch nicht bekannte Welten. Wer
zu oft in einem konventionellen Reiseführer blättert, ihn gar als Ratgeber nutzt, der wiederholt
die Reise eines anderen. Er gewinnt Sicherheit, verpasst aber das eigentliche: sein eigenes
Erleben auf fremden Pfaden und die Sehnsucht nach Auflösung einengender Grenzen, die sich
dabei einstellt.
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