27 Oktober 2024

Faszination Lost Places


Eigentlich hätte das hier ein düsteres Buch werden müssen.
Tatsächlich ist es eher eine Geschichte über Erlösung geworden
.
Cal Flyn

Die Autorin und ihr Genre

Die Erzählung Verlassene Orte von Cal Flyn ist eine Empfehlung wert. Ihr ist ein Buch gelungen, das nur auf den ersten Blick ein Sachbuch zu sein scheint, das sich mit dem Phänomen der Lost Places beschäftigt, den Edgelands oder Drosscapes, sowie der Wiedereroberung von Landstrichen und Bauwerken durch die Natur.1 Verlassene Orte ist Cal Flyns zweites Buch, in dem sie an verschiedenen von Menschen verlassenen und von der Natur zurückeroberten Orten weltweit recherchiert und diese Regionen fast poetisch behandelt, wie die Sperrzone von Tschernobyl (Ukraine), Ruinenlandschaften in Detroit (USA) oder Industriebrachen im schottischen Hochland. Für ihre Erzählungen bereiste Cal Flyn ehemals stark genutzte oder besiedelte Orte auf der Welt, die heute entweder teilweise oder vollständig verlassen sind und in denen sich die Natur inzwischen ihren Platz zurückerobert hat. Reisen, das Pendeln zwischen Zivilisation und ihren Resten, den Lost Places in Cal Flyn Buch, ist eine Kontrasterfahrung.

17 Juni 2024

Die Vega de Orandi


Ich will nach draußen gehen;
alter Kummer soll heute vergessen sein,
denn die Luft ist kühl und ruhig, und die Hügel
sind hoch und erstrecken sich bis zum Himmel
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Sylvain Tesson

Es hat die ganze Nacht geregnet, und morgens noch eine Weile. Alles ist nass, und der Himmel perfekt Stratus, eine bleigraue Decke. Es fällt mir schwer, mir vorzustellen, dass sich dahinter ein ganzes Universum befindet, eine Welt, in der jetzt die Sonne an einem tiefblauen Firmament scheint. Warum schafft sie es nicht, wenigstens ein paar Löscher in dieses bleierne Grau zu brennen?
Während ich noch beim Frühstück bin, kann ich mir nicht mehr vorstellen, an die Seen von Covadonga zu wandern. Es ist spät geworden, bevor der Regen aufhört, und ob es bald wieder regnen wird, ist zu erwarten. Wenn ich trotzdem an die Covadonga-Seen aufbreche, bekomme ich keinen Bus mehr zurück nach Arriondas. Für Wanderungen in den Picos de Europa benötigt man ein Auto. Eigentlich weiß ich das, denn es ist nirgendwo anders. Verkehrswende und Naturerlebnis für stadtmüde Großstädter hin oder her.

17 Mai 2024

Ibarrola in Llanes


Llanes in Asturien und Agustín Ibarrola, der Baske. Ein renommierter Künstler und eine Kleinstadt an der Biskaya. Ich mag Llanes, und ich bewundere die Arbeit des baskischen Bildhauers. Für mich ist das Zusammentreffen von Stadt und Künstler ein zwingender, kein ungewöhnlicher Kontrast. Zurück in Llanes. España verde empfängt mich angemessen. Es regnet. Nein, es gießt in Strömen. Regentage. In den nächsten Tagen wird es weiter regnen. Das höre ich im Radio, das der Fahrer des Reisebusses einschaltet, kaum sind wir unterwegs. Ein Reisetag. In Burgos lange warten auf den Bus nach Torrelavega. In Torrelavega warten auf den Bus nach Llanes. Ein Tag des Wartens dauert. Selbst die Zeit wird zur Dauer.
In Burgos ziehen Mittags dunkle Wolken auf, doch sie lassen Lücken für die Sonne. Auf der Fahrt nach Torrelavega droht ununterbrochen Regen, ohne sich entscheiden zu können. Als der Bus nach Llanes den unterirdischen Bushof Torrelavega verlässt, hat der Regen seine Ambivalenz endlich überwunden. Die hellgrauen Kumuluswolken in Burgos haben sich im Tagesverlauf in einen dunkelgrau-schwarzen Stratocumulus verwandelt. Auf dem Weg nach Llanes fährt der Bus durch einen heftigen Schauer immer höher hinauf in die kantabrische Kordillere. Die Sicht sinkt auf unter hundert Meter. Die Landschaft löst sich in einem dunstigen Schleier auf. Weich gezeichnet in Grau, ihrer Farbigkeit beraubt. Absolut Stratus.