Llanes in Asturien und Agustín Ibarrola, der Baske. Ein renommierter Künstler und eine Kleinstadt an der Biskaya. Ich mag Llanes, und ich bewundere sie Arbeit des baskischen Bildhauers. Für mich ist das Zusammentreffen von Stadt und Künstler ein zwingender, kein ungewöhnlicher Kontrast.
Zurück in Llanes. España verde empfängt mich angemessen. Es regnet. Nein, es gießt, in Strömen. Regentage, und es wird in den nächsten Tagen regnen.
Ein Reisetag. In Burgos lange warten auf den Bus nach Torrelavega. In Torrelavega warten auf den Bus nach Llanes. Ein Tag des Wartens dauert, selbst die Zeit wird zur Dauer.
In Burgos ziehen Mittags dunkle Wolken auf, doch sie lassen Lücken für die Sonne. Auf der Fahrt nach Torrelavega droht ununterbrochen Regen, ohne sich entscheiden zu können. Als der Bus nach Llanes den unterirdischen Bushof Torrelavega verlässt, hat der Regen seine Ambivalenz endlich überwunden. Die hellgrauen Kumuluswolken in Burgos haben sich im Tagesverlauf in einen dunkelgrau-schwarzen Stratocumulus verwandelt.
Unterwegs nach Llanes fährt der Bus durch einen heftigen Schauer immer höher in die kantabrische Kordillere. Die Sicht sinkt auf unter hundert Meter, dann löst sich die Landschaft in einem dunstigen Schleier auf. Weich gezeichnet in Grau, und ihrer Farbigkeit beraubt. Absolut Stratus.
Dass ich den Camino Francés hinter mir habe, merke ich sofort als ich in der Albergue La Estación eintreffe. An der Rezeption wird mein Spanisch wie selbstverständlich akzeptiert, ohne gleich beim ersten Stocken ins Englische zu wechseln. Im Zimmer habe ich sofort Kontakt zu den anderen Pilgern, und es ist lustig, sich mit einem 76jährigen Franzosen, der mit drei Flamen auf dem Camino del Norte unterwegs, spanisch-französisch zu unterhalten. Wir verstehen uns hervorragend als ob wir die gleiche Sprache sprechen.
Früh morgens sind Llanes nur zwei Bars geöffnet - Plan B und El Estudiante - und das nur, weil sie gegenüber des Colegio municipale Peña Tú liegen. Als ich in El Estudiante eintrete, schallt mir der Sound unzähliger Stimmen entgegen. Die Bar ist schon um diese Zeit mit Schülern gefüllt, die frühstücken, Neuigkeiten austauschen, vielleicht sich den Unterrichtsbeginn versüßen oder noch eine Weile hinauszuzögern. Es ist so laut in der Bar, dass ich die Serviererin am Tresen nicht verstehe, und sie schnell ins Englische wechselt, vielleicht auch um zu zeigen, dass die es beherrscht. Kurz nach acht Uhr ist der Spuk mit einem Schlag vorbei. Das Geschirr klappert, das TV schickt seine Nachrichten in den leeren Raum. Mehr nicht, die Bar ist leer und verlassen und die eben noch aufgekratzten Schüler*innen drücken hoffentlich aufmerksam die Schulbank, während ich nicht weiß, was ich mit drei Stunden und Gepäck auf dem Rücken bis zur Abfahrt nach Arriondas in Llanes mache.
Llanes, ein quirliges Städtchen am Atlantik, am Fuß der Picos Hibeo, Llabres und Benzúa, ist für mich eine ganz besondere Stadt in Asturien. Es ist mein absoluter Lieblingsort am Camino del Norte. Es heißt, es sei nicht immer gut, an einen Ort zurückzukehren, den man kennt und Jahrelang in guter Erinnerung bewahrt hat. Der Paseo de San Pedro in Llanes bildet eine Ausnahme. Er ist die schönste Promenade, über die ich in Spanien flaniert bin. Und auch an einem Tag, an dem ein böiger Wind schwarze Wolkenberge über den Himmel fegt, die immer nur einen Augenblick die Sonne durchlassen, verliert der Paseo seinen Charme nicht. Hoch über Llanes, auf der Steilküste, die den Ort vor Wind und Wellen der Biskaya schützt, führt die Promenade des Heiligen Petrus nach Westen. Sie ist der Weg, auf dem der Camino del Norte die Pilger nach Ribadasella bringt. Die Ruine eines Wachturms ragt wie ein abgebrochener Zahnstumpf, der im Kiefer des Paseos steckt, ein Felsbogen, durch den eine Treppe hinab- und hindurchführt, mit einem Kreuz auf dem höchsten Punkt, das dem Meer und den ausfahrenden Fischern zugewandt ist, Holzbänke mit Blick auf das Meer und eine Allee brusthohen Nadelgesträuchs, das ist der Paseo de San Pedro.
Llanes ist eine der mittelalterlichen Stödte, an denen Spanien so reich ist. Eine Altstadt mit engen Gassen und gealterten Fassaden, mit einem Ausdruck im Gemäuer, dass viel gesehen hat. Zwei Paläste hinter hohen Mauern, aus groben Steinbrocken gefügt, mit von Wind und Regen zerfressenen Zinnen. Eine Grenze zwischen alt und neu gibt es nicht. Die Jahrhunderte fügen sich in Llanes nahtlos ineinander.
Und es gibt das LandArt-Kunstwerk in Llanes, eine Installation auf der Hafenmole, die kein geringerer entworfen hat als Agustín Ibarrola (1930-2023), die Los Cubos de la Memoria, die Würfel der Erinnerung, an der zerklüfteten Küste, deren Farbigkeit nicht nur das trübe Wetter heute verschluckt. Am besten zu sehen sind sie von oben, vom Paseo de San Pedro
Der Zeichner, Maler und Bilderhauer Agustín Ibarrola Goicoechea (1930-2023) ist ein interdisziplinärer Künstler, weder ein reiner Maler, noch ausschließlich ein Bildhauer, und neben Jorge de Oteiza und Eduardo Chillida, einer wichtigen baskischen Bildhauer der Gegenwart.Die Los Cubos de la Memoria auf der Mole des Hafens von Llanes sind nicht sein erstes Werk, dass die Beziehung des Menschen zur Natur thematisiert.
Sein bekanntestes Werk, El Bosque pintado de Oma, (baskisch: Omako basoa), der bemalte Wald von Oma (1982-1985), ist ein LandArt-Projekt der künstlerischen Bewegung Kunst und Natur. Der Wald gehört zum Reserva de la Biosfera de Urdaibai, wo Ibarrola auf einer Gruppe von lebenden Bäumen Graffiti angebracht hat, die aus bestimmten Positionen betrachtet, geometrische Figuren, Menschen und Tiere, bilden, die auf die menschliche Präsenz in der Natur aufmerksam machen, und auf die Erfordernisse der Koexistenz hinweisen.
Mit Studierenden der Universität Salamanca, Fakultät der Bildenden Künste, schuf er 1996, mit der Förderung der Eisenbahngesellschaft RENFE den Bosque de los Tótems, den Wald der Totems, eine Gruppe bemalter Eisenbahnschwellen, Totempfählen gleich, mit denen er die Geschichte des Waldes und die Verbindung zwischen der Natur und dem Erbe des Menschen ins Zentrum der Urbanität rückte.
Der Bosque de los Tótems wurde erstmals 1997 am Bahnhof Bilbao-Abando gezeigt, danach in den Bahnhöfen weiterer Städte, bevor er im Juli 1997 endgültig im Bahnhof Príncipe Pío in Madrid ankam.
Die Cubos de la Memoria in Llanes (2001-2003), die unterhalb des Paseo de San Pedros wie sind ein ausgestreckter Arm ins Meer greifen, sind eine gewagte und originelle Idee Ibarrolas, der die grauen und inaktiven Betonblöcke des Wellenbrechers, der den Fischereihafen der Stadt Llanes vor den Unbilden des Atlantiks schützt, in eine künstlerische Komposition verwandelte.
Mit Farbe und Bedeutung verlieh er den gleichförmigen Würfeln Ausdruck indem er ein funktionales und notwendiges Element in zu einem sehenswerten Wahrzeichen der Meereslandschaft der Stadt Llanes machte. Die Bilder der Würfel haben landeinwärts einen figurativen Charakter und stellen die physische Realität der Dinge dar. Die dem offenen Meer zugewandte Front zeigt 177 Gesichter, die auf 66 Würfel gemalt wurden. Ibarrolas harmonisch mit abstrakten Symbolen, oder Augen und Fischen, bemalte Würfel verbinden sich durch die Farbenspiele, deren erratische Kanten jeden Moment durch die einwirkenden Elemente Licht und Wasser aufbrechen. Er spielte mit der Geometrie und der Diskontinuität der Betonwürfel, nutzte die optischen Effekte, die sich mit dem Tageslicht und der Bewegung des Wassers ergeben.
Ibarrola würdigt mit seinem LandArt-Projekt die physischen Spuren die Menschen in der Landschaft hinterlassen, das kulturelle und landschaftliche Gedächtnis, das kulturelle Erbe von Llanes. Er bezieht sich mit seinem Werk auf das Meer, einst wirtschaftliche Grundlage und Lebensweise die Llaniscos.
Der berüchtigte Zahn der Zeit ist an Ibarrolas Kunstwerk nicht vorübergegangen. Jahrelange war es den stürmischen Angriffen der Biskaya und den häufigen Regenfällen ausgesetzt. Jetzt weisen Ibarrolas bemalte Würfel einen fortgeschrittenen Verfall auf. Die Stadtverwaltung von Llanes hat seit 2006 nicht die geringsten Maßnahmen zu seiner Erhaltung ergriffen, scheut die hohen Kosten und hält eine Invention für wirtschaftlich nicht rentabel. Nun sind die Farben beschädigt, Müll sammelt an und beeinträchtigt Ibarrolas Werk. Welchen Sinn macht es, ein Werk wie die Würfel der Erinnerung anzufertigen, wenn die Erben es nicht würdigen und nicht bereit sibd, es zu pflegen und zu erhalten?
Am frühen Nachmittag fahre ich hinauf in die Berge nach Arrondias. In Llanes scheint die Sonne, aber an den Bergen steigen schwarze Wolken auf. Schon die Busfahrt ist spektakulär. Die Landstraße von Ribadasella führt durch das Tal des Río Sella. Zu beiden Seiten des Flusses ragen Berge auf, die Gipfel graues Felsgestein oberhalb der Baumgrenze. Allem Anschein Unkenrufen zum Trotz scheint auch in Arriondas die Sonne als ich aus dem Bus steige.